Theater Die Pathologie Regisseurin Charlotte Schneider bringt "Mary Shelley" auf die Bühne

BONN · "Sie sehen hier eine der seltsamsten Geschichten, die je erzählt wurden", warnt das Theater die Pathologie freundlich. Es ist nicht die berühmte Geschichte des Schweizer Wissenschaftlers Viktor Frankenstein, der aus toter Materie ein menschliches Wesen erschuf und damit zum Paradigma für eine ganze Flut von populären Erzählungen und Filmen über Experimente mit künstlichem Leben wurde.

 Maren Pfeiffer (links) und Anne Scherliess in dem Drama "Mary Shelley".

Maren Pfeiffer (links) und Anne Scherliess in dem Drama "Mary Shelley".

Foto: FOTO: PATHOLOGIE

Es ist die Geschichte der Frankenstein-Erfinderin Mary Shelley. Die Schauspielerin Anne Scherliess hat die turbulente Biographie der englischen Schriftstellerin (1797 - 1851) aus Briefen, Tagebüchern, Romanzitaten und ein paar augenzwinkernden Kinoanspielungen pfiffig neu zusammengesetzt.

Farbige Papierschnipsel bedecken den Bühnenboden in der Pathologie. Maren Pfeiffer und Anne Scherliess, angetan mit einer skurrilen Mischung aus Schnürkleid und Frack zu robusten Stiefeln, verkörpern all die merkwürdigen Figuren dieses Lebensreise-Romans.

In der Regie von Charlotte Schneider wird Frankensteins Schöpferin selbst zur Kreatur ihrer literarischen Fantasien. Mary war 17, als ihre erste Tochter zur Welt kam und bald darauf starb. Sie war 19, als sie in Lord Byrons Villa am Genfer See, die kurze Zeit zum Parnass der schwarzen Romantik wurde, ihren Frankenstein-Roman verfasste.

Verehrt hatte sie ihre Mutter, die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, die kurz nach ihrer Geburt starb. Kühl bleibt die Beziehung zu ihrem Vater William Godwin, der sozialphilosophische Bücher publiziert und mit seinen liberalen Ideen für Aufsehen sorgt.

Größere Schecks nimmt er gern von dem Dichter Percy Shelley, ist freilich nur mäßig erbaut davon, dass Tochter Mary mit diesem psychisch labilen, noch verheirateten Künstler durchbrennt. Mit von der Partie ist Marys Halbschwester Claire, die heimlich eine Tochter mit dem recht volatilen Dichter Byron bekommt.

Die beiden Schauspielerinnen lassen das mit ironisch gebrochenem Pathos Revue passieren und machen aus den individuellen Wirrnissen kein Emanzipations-Heldentum. Groß und weiblich wohlgeformt mit dunkler Lockenpracht spielt Pfeiffer die erschütterliche Seite der schillernden Persönlichkeiten, während Scherliess knabenhaft zierlich alle Schicksalsschläge pariert.

Mit alten Märchen wollten die gebildeten jungen Londoner Damen sich am Anfang des 19. Jahrhunderts nicht mehr abspeisen lassen. Nach mehrfachen natürlichen Mutterschaften erlas Mary Shelley sich einen neuen Prometheus, dem sie eine namenlose Kreatur nach ihrem zwiespältigen Ebenbild ins technische Reproduktions-Nest schob. Frankensteins aufgeklärtes Monster verschwand zwar friedlich im ewigen Eis, zeugte jedoch schauerliche Androide bis ins 21.Jahrhundert.

Die vorwitzigen Girls spielen das mit hübsch abgründiger Lust am Ungeheuerlichen. Mary Shelley trifft ihre monströsen Kunstgeschöpfe und begreift: "Kill Your Darlings" ist literarisch zwar angesagt, aber die klebrigen Retorten-Chimären sind nicht mehr einzuholen.

Info: Nächste Vorstellungen am 2. und 3. November. Kartenreservierungen unter der Rufnummer 0228/222358, weitere Infos unter www.theaterdiepathologie.de

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