Schauspiel Köln Rainald Grebe inszeniert sein Karnevalsstück "Die Fünfte Jahreszeit"

KÖLN · Das nette Rotkäppchen schwächelt, der quietschgelbe Grillhahn lallt "Kölle, do bes e Jeföhl", und Gandalf knallt in seiner Mönchskutte frontal vors Dixi-Klo. Drei Kostümierte im Katzenjammer. So beginnt im stilechten Sitzungssaal (Bühne: Jürgen Lier) "Die Fünfte Jahreszeit".

 Im Auge des Totenkopfs singt Tilla Kratochwil das das traurige Lied vom treuen Husaren.

Im Auge des Totenkopfs singt Tilla Kratochwil das das traurige Lied vom treuen Husaren.

Foto: Thomas Aurin

Der gebürtige Frechener Rainald Grebe, als Musiker mit seiner "Kapelle der Versöhnung" bekannt, hat dieses Stück ersonnen und im Depot 1 des Schauspiels Köln uraufgeführt. Er kartographiert den Narrenkosmos zwischen Rausch und Kater sowie zwischen Krawall und Wehmut. Klar, die stets feierverrückte Eventgesellschaft hat die Ventilfunktion der jecken Monate so arg geschwächt, dass hier gefragt wird: "Die Auszeit von was eigentlich ist Karneval?"

Mit famoser Live-Combo, Videoeinspielungen vom Alter Markt, Worten von Jürgen Roters ("Ich feiere wild, laut und bis Weiberfastnacht") sowie viel Slapstick startet Grebe einen Generalangriff auf die kölsche Ganzjahresnarretei. Doch deren DNA entzieht sich der Entschlüsselung, so dass statt psychologischer Analyse eher ein schillerndes Karnevals-Kaleidoskop entsteht.

Bekennt schon der Imi-Chor Brauchtumsdefizite, so zeigt auch das erst zu Saisonbeginn eingekölschte Ensemble den Blick des Außenstehenden: flackernd zwischen Faszination und Fassungslosigkeit. Ausflüge zu Ernst Neger in die Helau-Enklave Mainz mögen etwas befremden, doch wenn Nikolaus Benda zu Bildern des zerstörten Köln "Heile, heile Gänschen" singt, wird tatsächlich alles wieder gut.

Zumal die rasante Nummernrevue vor Einfallsfülle platzt: wunderbar das Turbo-Kostümquiz mit Krachern wie dem Ei-Päd, dem Fläsch-Mopp oder der Mozartkugel. Auch dem Motto der abgelaufenen Saison ("Zokunf - mer spingkse, wat kütt") gewinnt Grebe echte Zwerchfellfolter ab: Benjamin Höppner, der als grünes Männchen in der Bütt den Hit "Ich bin ene Räuber" auf Marsianisch herunterschnarrt, ist schlicht sensationell.

Ebenso wie Stefko Hanushevsky als Kardinal Meisner auf schwindelerregender Himmelfahrt oder als Schnapsleichensammler. Während Annika Schilling als schmieriger Präsident dem ansonsten kopflosen Elferrat vorsteht, werden die Frohsinns-Feuchtgebiete von einem wandelnden Riesenpenis sowie einer Edelkneipen-Kellnerin durchquert.

Solcher Schlaglichtdramaturgie fehlt jeder rote Faden, doch die Spots sitzen. Etwa der Blick auf Glanz und Elend des Funkenmariechen-Daseins oder ein inhaltsloser Auftritt des Dreigestirns. Ab und zu schlendern auch der musikalische Leiter Jens-Karsten Stoll sowie Rainald Grebe durchs Bild.

Der spielt Rainald von Dassel ("aus diesem Dreigebein lässt sich doch was machen") oder setzt Grönemeyers "Bochum" einen harten "Frechen"-Konter entgegen. Wobei seine rau-poetisch gesungene Beschwörung urbaner Tristesse erst kurz vor Schluss haarscharf die Kurve ins Positive kriegt.

Auch hinter Kölns Einzigartigkeit setzt Grebe im finalen Song wie in der Nubbel-Nummer fette Fragezeichen. Diese Attacken auf die Uniformität der Städte, auf Starbucks und Etap-Hotels als öden Heimatersatz, ziehen dem Stück allerdings fast den Boden unter den Füßen weg.

Aber manchmal spürt man, wovon Karneval auch die Kehrseite ist: von Leid und Tod, die man in der gegrölten Zeile "ein ganzes Jahr und noch viel mehr" kaum noch ahnt. Doch dann singt Tilla Kratochwil im roten Auge des Totenkopfs alle Strophen der maßlos traurigen Moritat vom treuen Husaren - und sorgt für den berührendsten Moment des Abends. Starker Beifall.

Info

Termine: 25./28. März, 23./26. April; Karten im Bonnticket-Shop und in den GA-Zweigstellen.

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