Projekt "Diabelli" in der Beethovenhalle Prozess der Entfremdung

Mit einer exemplarischen Exegese von Ludwig van Beethovens Opus 120 eröffnete András Schiff das Projekt "Diabelli", das mit seinen fünf Konzerten samt einer Experten-Diskussion dem Motto des Beethovenfestes, "Veränderungen", auf besondere Weise Rechnung trägt - nicht zuletzt, weil sich das Festival nun mit solch einem thematischen Schwerpunkt durch eine eigene, markante Note auszeichnen kann.

 Blumen für den Pianisten: András Schiff in der Beethovenhalle.

Blumen für den Pianisten: András Schiff in der Beethovenhalle.

Foto: Barbara Frommann

Die "33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli", deren Autograph im Bonner Beethoven-Archiv liegt, weisen als Beethovens 1823 abgeschlossene finale Klavierkomposition weit auf die Moderne voraus und zeitigen bis heute, wie das Projekt "Diabelli" zeigen wird, Früchte.

András Schiff, der auf seinem Bechstein-Flügel spielte, stellt das Walzer-Thema des Verlegers Anton Diabelli (das metrisch kein "echter" Walzer ist) mit auffälligen Tempo-Rückungen zur Diskussion. Dann entfremdet die Variationen Stück für Stück weiter von der Vorlage, womit er die eigentliche Besonderheit Beethovens hervorhebt. Seine "Variationen können nun das Thema kommentieren, verspotten, in Frage stellen, ja ad absurdum führen", wie Schiffs Pianisten-Kollege Alfred Brendel scharfsinnig formuliert hat. Schiff macht am Klavier gewandt Gebrauch von seinem schier unerschöpflichen Ausdrucksrepertoire, das feinste Nuancen ebenso erlaubt wie schärfste Kontraste. Nach seiner (ins 20. Jahrhundert) vorausblickenden "Diabelli"-Interpretation setzte der Pianist mit der Arietta aus Beethovens letzter Klaviersonate op. 111 als Zugabe sehr eindringlich noch einmal nach. Hier baute er vom bewegend kantabel gespielten Thema bis zu den rhythmischen Explosionen der dritten Variation einen gewaltigen Spannungsbogen auf, bevor er das Werk in eine ätherische Klangwelt aus Trillern und Tremoli überführte, die jede Erdenschwere hinter sich zu lassen schien. Das Publikum im ebenso vollen wie andächtig stillen Saal der Beethovenhalle applaudierte danach im Stehen.

Als pianistischen Aperitif hatte Schiff im ersten Teil des Abends, ohne die Bühne hierbei zu verlassen, ein klassisch-romantisches Crossover gespielt: Mozarts "12 Variationen über ein Allegretto" KV 500, Mendelssohns "Variations serieuses" op. 54, Haydns "Andante con Variazioni" Hob. XVII:6 und Schumanns "Geistervariationen" WoO 24, welche die Fortschrittlichkeit von Beethovens Formensprache unterstrichen.

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