Rutschbahn mit Tiefgang Premiere von „Alles, was ich nicht erinnere“ in Köln

Köln · „Alles, was ich nicht erinnere“ nach Jonas Hassen Khemiris Roman hatte als Uraufführung in der Außenspielstätte des Schauspiels Köln Premiere.

 Alles, was ich nicht erinnere nach dem Roman von Jonas Hassen Khemiri

Alles, was ich nicht erinnere nach dem Roman von Jonas Hassen Khemiri

Foto: Ana Lukenda

Das Herz ist ein Hohlmuskel. Mit rhythmischen Kontraktionen pumpt er Blut durch den Körper. Wenn unser Herz aufhört, zu schlagen, sind wir tot. So tot wie Samuel (Max Bretschneider), der da, wo die Straße nach links führte, geradeaus fuhr und gegen einen Baum prallte. Mit 26 Jahren. War es ein Unfall? Oder wollte er sterben? Und wenn – gibt es jemanden, der daran die Schuld trägt? Diese Fragen stehen im Zentrum von Jonas Hassen Khemiris Roman „Alles, was ich nicht erinnere“. Aus der deutschen Übersetzung von Susanne Dahmann haben Julia Fischer und Charlotte Sprenger eine Bühnenfassung gemacht, die nun in der Außenspielstätte des Schauspiels Köln am Offenbachplatz uraufgeführt wurde.

Das Herz ist ein Objekt. Mit abgeschnittenen Venen, geformt aus Pappmaché und aus Latexmasse. Den Protagonisten bietet es Platz, sich darauf zu räkeln wie auf einem Sofa. Ein Herz, das weinen kann, dampfen im Adrenalin-Aufguss oder, geführt von Ketten, in höhere Sphären schweben. Mitunter klopft es unter seiner geäderten Gummihaut so heftig, dass man glaubt, dass es gleich zerspringt. Neben den wechselnden Kostümen der fünf Darsteller, der mit Kupferfolie verkleideten Rückwand und der signalroten Fläche davor ist es das einzige Hilfsmittel, das diese Inszenierung braucht.

Dazu kommen das sparsam eingesetzte Licht (Jan Steinfatt) und die Musik von Jonas Landerschier, der am Piano sitzt wie ein melancholischer Mexikaner in einer Bar weit nach Mitternacht. Was übrigens ganz großartig klingt. Nicht nur aufgrund dieses Szenarios wirkt die zweite Regiearbeit von Charlotte Sprenger wie eine Rutschbahn. Eine mit Tiefgang. Es braucht Zeit, um die Darsteller ihren Rollen zuzuordnen. Die alle einem abwesenden Autor davon erzählen, was der Verstorbene für sie bedeutet hat. Und sie für ihn. Aber war Vandad (Johannes Benecke) sein bester Kumpel? Oder hat er ihn bloß abgezockt? Hat Freundin Panther (Ines Marie Westernströer) sich einfach nach Berlin verdrückt? Verlor Laide (Sophia Burtscher), seine Ex, ihre große Liebe oder war diese Beziehung nur eine Episode? Und was ist mit Samuels Oma (Elisa Schlott), die nun in ihrer Demenz Haus und Auto und Selbstbestimmung verliert?

Das größte Rätsel bleibt Samuel selbst. Einer, für den die Dinge „krass“ und „krank“ und „geil“ sein müssen, damit er sie spüren kann. Oder glaubt, sie zu spüren. Oder andere glauben machen, er täte das. Was von einem Leben übrig bleibt, ist mitunter bloß eine Illusion. Und genau darin liegt, vielleicht, die Barmherzigkeit. Weil uns dies von aller Schuld entbindet.

Weitere Termine: 18.11., 2.12., 17.12. und 19.12., je 20 Uhr.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort