Zum Tod von Kurt Masur Politischer Maestro

Bonn · Ich war Politiker wider Willen", hat Kurt Masur gern gesagt. Der Musiker von Weltruf, der als langjähriger Gewandhauskapellmeister in Leipzig ein Vorzeigekünstler des DDR-Regimes war und zahlreiche Privilegien genoss, wurde am 9. Oktober des Jahres 1989 zum Helden des Widerstands.

 Bonn eng verbunden: Kurt Masur, ab 2004 Vorstandsvorsitzender des Beethoven-Hauses, 2008 während einer Probe in der Beethovenhalle.

Bonn eng verbunden: Kurt Masur, ab 2004 Vorstandsvorsitzender des Beethoven-Hauses, 2008 während einer Probe in der Beethovenhalle.

Foto: dpa

In Leipzig waren an jenem Tag 70.000 Menschen zur Montagsdemonstration auf die Straße gegangen, skandierten "Jetzt oder nie, Demokratie!" und "Wir sind das Volk!". Mit dieser überwältigenden Menschenmenge hatte niemand gerechnet, und die Staatsmacht reagierte nervös.

Dass es aber trotz des enormen Aufgebotes an Sicherheitskräften schließlich nicht zu Gewalt und zu einem verheerenden Blutvergießen kam, hat auch mit einem Aufruf zu tun, den Kurt Masur und fünf Mitstreiter an jenem Tag bei einem Treffen im Hause des Maestros verfassten.

Um kurz nach 18 Uhr war Masurs Stimme im Rundfunk zu hören: "Wir bitten Sie dringend um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird", rief er Staatsmacht wie Demonstranten zu. An diesem Tag, so beschreiben es Historiker, wurde das friedliche Ende der DDR besiegelt.

Beethovens Neunte als höchster Ausdruck von Humanität

Masur, der seit langem an der Parkinsonkrankheit litt und am Samstag im Alter von 88 Jahren in Greenwich im US-Bundesstaat Connecticut gestorben ist, hatte zuvor nie offen politischen Widerstand geleistet, aber sich immer wieder am Regime abgearbeitet. Gegen große politische Widerstände setzte er den Neubau des Leipziger Gewandhauses durch, dessen Grundstein schließlich 1977 gelegt wurde und das am 8. Oktober 1981 mit einem feierlichen Konzert eröffnet wurde.

Auf dem Programm stand unter anderem die neunte Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Für Masur war dieses Werk der höchste und ergreifendste Ausdruck von Humanität. Wenn der Chor im vierten Satz "Diesen Kuss der ganzen Welt" singt, hatte man bei dem ohne Taktstock dirigierenden Masur immer den Eindruck, er wolle diesen Schiller'schen Vers mit ganz vielen Ausrufezeichen versehen. "Was uns alle verbindet, ist eigentlich in der Neunten Beethovens mit Schillers Worten und Beethovens Musik dokumentiert: Freude soll die Menschen verbinden und nicht der Hass", sagte der Dirigent einmal.

Kurt Masur wurde am 18. Juli 1927 im niederschlesischen Brieg geboren. Als Sohn eines Elektroingenieurs sollte er eigentlich in die Fußstapfen seines Vaters treten, der einen Elektroladen betrieb, und absolvierte auch eine entsprechende Ausbildung. Doch die Musik, zu der er sich früh hingezogen fühlte, war stärker. Seine Pläne, Organist zu werden, wurden jedoch durch eine Sehnenverkürzung am kleinen Finger der rechten Hand zunichte gemacht. Als Dirigent passierte er viele Stationen in der DDR-Nachkriegsprovinz mit Stationen unter anderem in Halle, Erfurt und Schwerin, bevor ihn Walter Felsenstein 1960 an die Komische Oper nach Berlin verpflichtete.

In Dresden wurde er 1967 Chef der Philharmoniker. Seine Lebensstellung sollte jedoch 1970 die Berufung zum Gewandhauskapellmeister in Leipzig werden, wo er 26 Jahre lang blieb. Als man ihn 1996 als "Ehrendirigenten" verabschiedete, hatte er dieses Orchester in mehr als 900 Konzerten geprägt. In diese Zeit fiel aber auch die wohl größte Tragödie seines Lebens. 1972 kam seine zweite Frau Irmgard Elsa Kaul bei einem Autounfall ums Leben, bei dem er selber am Steuer gesessen hatte.

Masur gelingt nach dem Mauerfall eine grandiose Karriere

Dass Masur nach dem Mauerfall noch eine grandiose Alterskarriere gelang, hat zwar auch mit seiner politischen Rolle von 1989 zu tun, die ihn zum internationalen Star machte. Aber als die New Yorker Philharmoniker ihn 1990 zum Nachfolger ihres Chefdirigenten Zubin Mehta kürten, war das vor allem deshalb, weil sie sie den Deutschen nach vielen Gastauftritten in seiner Eigenschaft als Musiker und Dirigent zu schätzen gelernt hatten.

Die Liebe beruhte auf Gegenseitigkeit. Als Masur nach elf Jahren 2002 seinen Abschied nahm, wurde er auch hier zum Ehrendirigenten ernannt - wie vor ihm nur Leonard Bernstein. Doch an Ruhestand dachte Masur noch lange nicht. Bereits 2000 war er Chefdirigent des London Philharmonic geworden, 2002 kam die Chefposition beim Orchestre National de France in Paris hinzu.

Masur war durchdrungen von Musik. Er lebte sie nicht nur am Pult, sondern kümmerte sich auch um die Pflege des Andenkens an große Komponisten. So gründete er 1991 in Leipzig die Mendelssohn-Stiftung, die das letzte Wohnhaus des Komponisten vor dem Verfall rettete. Als ihm 2004 das Beethoven-Haus in Bonn den Vorstandsvorsitz antrug, nahm er gerne an. Dem Werk Beethovens fühlte sich Masur zeitlebens tief verbunden. Und er füllte seine neue Aufgabe mit großem persönlichen Engagement aus, dirigierte etwa Benefizkonzerte zum Ankauf der Handschrift der Diabelli-Variationen. Das Beethovenfest-Publikum beglückte er am Pult des Orchestre National de France mit der zyklischen Aufführung aller neun Sinfonien des Komponisten.

Besondere Aufmerksamkeit erfuhren seine öffentlichen Beethoven-Meisterkurse für junge Dirigenten mit dem Beethoven Orchester, in deren Verlauf ebenfalls der komplette Sinfonien-Zyklus zur Aufführung kam. Masur wollte die Jugend für die Musik begeistern: "Bis heute befinden wir uns in Deutschland musikalisch gesehen in einem Notstand. Wenn wir das nicht ändern, werden wir von Nationen zum Beispiel aus Asien überholt", sagte er damals im Interview mit dem General-Anzeiger.

Auch für den Neubau eines Festspielhauses für Beethoven machte er sich stark. Doch anders als Leipzig waren seine Mühen in der Beethovenstadt vergebens. Aus Altersgründen gab Masur den Vorstandsvorsitz vor zwei Jahren auf, Nachfolgerin ist die Bratschistin Tabea Zimmermann.

Alter und Krankheit zwangen den Dirigenten in den letzten Jahren dazu, immer häufiger Konzerte absagen zu müssen. 2012 stürzte er in Paris vom Podium, bei einem weiteren Sturz 2013 in Tel Aviv, wo mehrere Auftritte mit dem Israel Philharmonic Orchestra geplant waren, brach er sich die Hüfte.

Zuletzt dirigierte Masur vom Rollstuhl aus. Er wolle nicht nur einfach dasitzen "und auf den Tod warten", sagte er. Masur hinterlässt seine Frau Tomoku Sakurai-Masur und fünf Kinder aus insgesamt drei Ehen.

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