Interview mit dem Autor Martin Suter Politik als Geisel der Finanzwelt

Martin Suters Roman "Montecristo" beschreibt eine gewaltige Finanzverschwörung, die von seinem jetzigen Wohnort Zürich ausgeht. Hartmut Wilmes sprach mit dem eidgenössischen Autor (67) am Rande der Lesung, zu welcher der Autor zur lit.Cologne gereist war.

 Unterhaltung ist für Martin Suter ein Markenzeichen guter Literatur.

Unterhaltung ist für Martin Suter ein Markenzeichen guter Literatur.

Foto: Geiser

Ihr Roman beginnt mit einem vermeintlichen Selbstmord im Eisenbahntunnel. Danach fällt der Satz, dass ein so gutes Leben, wie es die Schweizer haben, kaum auszuhalten sei. Ist da etwas dran?
Martin Suter: Nein, das ist nur die ironische Bemerkung eines tamilischen Asylbewerbers. Ich habe allerdings kürzlich gelesen, dass die Zufriedenheit der Schweizer mit dem eigenen Leben ziemlich hoch ist. Sie sind da auf Platz zwei oder drei in der Welt.

Ist es manchmal fast peinlich, derart privilegiert zu leben?
Suter: Das Problem ist eher, dass viele Schweizer das etwas überheblich macht.

Die seriöse Schweiz wird in "Montecristo" Schauplatz einer gewaltigen Finanzverschwörung. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?Suter: Ich suche immer nach Geschichten und Mechanismen von Geschichten. Und ich wollte beschreiben, wie durch mehrere sehr unwahrscheinliche Zufälle etwas ins Rollen gerät, das sich zu einem riesigen Atompilz entwickelt. Da musste es um viel gehen, und das ist dann eben die Finanzwirtschaft.

Nun hatten viele gehofft, dass die Finanzkrise ein läuternder Schock gewesen sei. Ihr Buch legt das Gegenteil nahe.
Suter: Ob es in der Realität so ist, weiß ich nicht, doch wenn die Banken beteuern, so etwas sei jetzt ausgeschlossen, glaube ich: Das stimmt nur, bis wieder etwas passiert.

Sie haben ja das schöne Bild von der Seifenblase gefunden, die immer nur haarscharf über den Zacken der Wirklichkeit schwebt. Klingt gefährlich.
Suter: Ich wollte schon das Gefühl erzeugen, dass wir in dieser Blase oder auf schwankenden Planken sind. Wenn dieses Gefühl nach Ende des Buchs für ein paar Tage bleibt, habe ich nichts dagegen.

Sie sind ein sehr erfolgreicher Autor. Haben Sie persönlich Angst, das Erarbeitete durch solche Spekulationen zu verlieren?
Suter: Das Geld steckt zum Glück in unseren Häusern (Zürich, Ibiza und Guatemala), es gibt keine großen Bankguthaben oder Aktienpakete. So hält sich diese Angst in Grenzen.

Bei diesem Festival ist auch Ihr Landsmann Jean Ziegler aufgetreten, der in "Ändere die Welt" die Dominanz des globalen Finanzkapitals über die Politik beklagt. Können Sie das nachfühlen?
Suter: Durchaus, die Finanzleute sitzen an einem langen Hebel, und Gesellschaft und Politik befinden sich allmählich in Geiselhaft. Es ist wohl immer noch so, dass der Staat eingreifen muss, wenn eine Bank hops geht.

Wie arbeiten Sie überhaupt? Ist vorher schon alles auf Millimeterpapier konzipiert, oder segeln Sie mal los und schauen, wohin der Wind Sie bläst?
Suter: Nein, das habe ich einmal versucht, und der Wind hat mich in den Kakao geblasen.

Welches Buch war das?
Suter: Mein zweiter Roman nach "Small World", nie veröffentlicht. Seitdem arbeite ich gewissermaßen mit Zentimeterpapier, kenne die Geschichte, die Stationen und das Ende.

Man vermutet angesichts der Einfallsfülle dieses Buchs, dass das Schreiben viel Spaß gemacht hat...
Suter: Wobei es mir anfangs gar nicht so leicht fiel. Aber das ist oft so: Wenn ich mich schwer tue, liest es sich nachher leichter.

Haben Sie eigentlich das Gefühl, Sie müssten sich für Publikumserfolge bei der Literaturkritik entschuldigen?
Suter: Das habe ich nie gehabt, das Wort "Unterhaltung" ist ja auch eine Spezialität des deutschsprachigen Feuilletons. Denn nehmen Sie "Buddenbrooks" - ist das denn E oder U? Ich höre manchmal, dass bei mir zu viele Details über Kleidung und Essen auftauchten. Aber bei Thomas Manns Figuren weiß ich immer, was die trinken, essen oder morgens anziehen. Und Joseph Roth beschreibt Uniformen bis zur Unterwäsche.

Kann es passieren, dass Sie ein erfolgreiches Buch trotzdem selbst als gescheitert ansehen?
Suter: Bei Lesungen fallen mir oft Dinge auf, die ich dann ändere. Oder in "Die Zeit, die Zeit" haben viele Leser den Schluss falsch verstanden. Schuld daran ist ein handwerklicher Fehler, den ich für die neue Auflage korrigiert habe.

Welcher war das?
Suter: Viele Leute denken am Schluss, dass alles nur ein Traum sei. Dabei ist das ein Erzähltrick, den ich hasse. Aber ich lasse den Helden kurz vor dem Ende einnicken, und wenn er erwacht, sind all die einschneidenden Veränderungen geschehen. Jetzt schläft er nicht mehr ein.

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