Packend, fabelhaft, radikal: Konzerte in Bonn

Jean Shy in der Harmonie, das Ensemble musica solare in der Kreuzkirche und das Zehetmair-Quartett im Aloisius-Kolleg ziehen die Zuhörer in ihren Bann.

Packend, fabelhaft, radikal: Konzerte in Bonn
Foto: Wolfgang Schneider

Harmonie. Ganze 16 Jahre hat Jean Shy das Bonner Publikum warten lassen, um es erneut mit packenden Rhythm'n'Blues und Soul zu begeistern. Auf ihrer "The Blues Got Soul-Tour" schaute das Temperamentbündel aus Chicago in der Endenicher Harmonie vorbei und zeigte sich mit ihrer Band The Shy Guys von ihrer besten Seite.

Die schwergewichtige Soul-Lady verfügt über eine ausgebildete Stimme, trifft jeden Ton und weiß jedem Song die richtige Stimmung zu verleihen. Ein Allroundtalent, das mit sieben exzellenten Begleitmusikern jedes Publikum im Nu zu erobern weiß. Die Formation wartete mit einem gut gemischten Repertoire aus Klassikern und eigenen Titeln auf und versetzte das Publikum, das es buchstäblich von den Stühlen riss, in Verzückung. Powersongs wie "Pretender" und intensive Nummern wie "Spoonful" lösten sich ab, die Musiker vollbrachten solistische Glanzleistungen.

Über allem dominierte Jean Shys kraftvoller wie stimmungsvoller Gesang. Gemeinsam mit ihrer spielfreudigen Band gestaltete die Sängerin mit ausgeprägten Entertainerqualitäten einen kurzweiligen Abend, der ruhig länger hätte dauern können.

Wolfgang Schneider

Kreuzkirche. Fabelhaft im eigentlichen und auch im übertragenen Wortsinn war das Konzert des Ensembles musica solare in der Krypta der Kreuzkirche, das in der Reihe "Am siebten um sieben" stattfand. Präsentiert wurden - ebenso dezent wie pointiert von der Schauspielerin Marita Breuer gelesen - Fabeln von Äsop bis hin zu Rainer Kunze, kontrapunktiert und ergänzt von barocker Kammermusik.

Breuer las die Fabeln mit einem feinen Gespür für die Pointen, bei Jean de la Fontaines bekannter Fabel über Grille und Ameise ebenso wie Gottlieb Konrad Pfeffels tierischen Lehrparabeln. Das Ensemble musica solare, hinter dem sich die beiden Musikerinnen Darja Großheide (Travers- und Blockflöte), und Gabriele Nußberger (Violine) verbergen, spielte dazu zusammen mit dem Kreuzkirchenorganisten Stefan Horz am Cembalo zumeist allerdings nicht durchweg von den tierischen Geschichten inspirierte Musik.

Die passte stilistisch nicht nur als Ergänzung beziehungsweise Kontrapunkt zu den gelesenen Texten, die drei Musiker spielten auch mit großer Hingabe. Horz etwa, indem er seinen Part am Cembalo ausgesprochen filigran und sensibel ausfüllte und den Solistinnen dadurch ein idealer Begleiter war. Darja Großheide legte nicht nur in Arcangelo Corellis "La Follia"-Variationen eine enorme Virtuosität an den Tag und setzte die klangliche Noblesse gerade der Traversflöte optimal in Szene. Gabriele Nußberger entlockte ihrer Barockgeige vor allem in Heinrich Bibers "Sonata representativa" pittoreske Töne von lautmalerischer Qualität und verstand es auch, nicht nur hier den musikalische Affekte treffsicher herauszuarbeiten. Insgesamt ein ebenso stimmungsvolles wie stimmiges Konzert.

Guido Krawinkel

Aloisius-Kolleg. Musik, die sperrig, radikal, unbequem klingt, wird dem Publikum gern im Sandwichverfahren verabreicht. Von beiden Seiten mit angenehmen Klängen umhüllt, gleicht sie der bitteren Pille, die man nur im Zuckermantel hinunterbekommt.

Da stand beim Konzert in der Kirche des Aloisius-Kollegs ganz anderes auf dem Programm. Beethovens spätes cis-moll-Streichquartett op.131 wurde Schostakowitschs letztem, seinem 15. Streichquartett gegenübergestellt - kompositorische Testamente, bei Beethoven ein fantasievolles Kompendium gestalterischer Möglichkeiten, bei Schostakowitsch ein weit ausgreifendes Lamento in sechs Adagiosätzen.

Zu Gast war in diesem Sonderkonzert der Gesellschaft für Musikkultur das Zehetmair-Quartett mit Thomas Zehetmair und Kuba Jakowicz (Violinen), Ruth Killius (Viola) und Ursula Smith (Violoncello). Die Radikalität der Werke spiegelte sich im Spiel des Ensembles. Man spielte in Sachen Tongebung passagenweise riskant, mit einer kalkulierten Unfertigkeit und Brüchigkeit des Klanges.

Das eröffnende Fugato des cis-moll-Quartetts etwa stand wie ein rätselhaftes Gebilde im Raum, der Gesamtklang erinnerte eher an ein entferntes Harmonium denn an ein Streichquartett. Das Thema der Variation fassten die Musiker überaus vorsichtig an. Insgesamt gelang eine eindringliche Lesart dieses Quartetts.

Kein Niveauabfall bei Schostakowitsch: eine beklemmende Abschiedsmusik, aus der hier und da Reminiszenzen an die Welt aufscheinen - ein Walzer, ein Rezitativ. Wieder gelang eine bannende Interpretation - vor leider viel zu wenig Zuhörern.

Mathias Nofze

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