Umjubelte Opernpremiere im Staatenhau Opernrarität: Kurt Weills "Street Scene"

Köln · Packende Musik mit 33 Solisten, Chor und groß besetztem sowie die großartige Inszenierung sorgen für ein großes Opernerlebnis.

 Menschen im Schmelztiegel: Szene aus der Kölner Produktion „Street Scene“.

Menschen im Schmelztiegel: Szene aus der Kölner Produktion „Street Scene“.

Foto: Leclaire

Es ist schrecklich heiß an diesem Frühsommertag in Manhattans Lower East Side. Der Schweiß rinnt den Menschen aus allen Poren. Ein Schmelztiegel ist der Ort aber nicht nur wegen der unerträglichen Hitze, sondern auch seiner Bewohner wegen, ein Haufen Menschen, zusammengewürfelt aus allen Teilen der Welt. Hier leben nicht nur unterschiedliche Nationalitäten, sondern auch Armut, Verzweiflung, Träume, Hoffnungen, Liebe, Eifersucht, Neid und Missgunst Tür an Tür.

Der aus Nazi-Deutschland nach New York emigrierte Komponist Kurt Weill, den man vor allem als musikalischen Partner Bertolt Brechts („Dreigroschenoper“, „Mahagonny“) kennt, beschreibt in seiner amerikanischen Oper „Street Scene“, für die Elmer Rice sein gleichnamiges Drama selbst angepasst hat, eine Momentaufnahme aus dem Leben der Menschen in diesem bunten Viertel.

Im Kölner Staatenhaus, wo Weills selten aufgeführte Oper am Sonntag umjubelte Premiere feierte, beginnt die erste Szene mit einem Tableau, als wären die Leute in einem sehr willkürlich gewählten Augenblick eines zufällig ausgewählten Tages Ende der 1930er Jahre eingefroren worden. Der aufgehende, durchscheinende Vorhang erweckt sie gleichsam zum Leben – bis sie am Ende wieder erstarren werden. Dazwischen erleben wir eine Tragödie. Mit einem Doppelmord aus Eifersucht als betrüblichem Höhepunkt.

Mord aus Eifersucht

Der Tod von Anna Maurrant und ihrem Liebhaber, dem Milchmann Sankey, wird freilich nicht als Kriminalfall dargestellt, sondern als Folge der Zustände in diesem Armenviertel. Für John Fulljames Inszenierung, die in Kooperation mit Teatro Real Madrid und der Opéra Monte-Carlo entstand, hat Ausstatter Dick Bird eine Mietshausfront gebaut, die eigentlich ein vierstöckiges, wandloses Gerüstskelett ist, das den Bewohnern keinen Rückzugswinkel erlaubt. Hier kriegt jeder alles von den Nachbarn mit, vom Babygeschrei bis zum Violinunterricht. Da ist Annas Affäre natürlich ein gefundenes Fressen für die tratschenden Nachbarinnen, die ihre verbalen Giftspritzen am liebsten in tödlicher Dosis injizieren.

Die von Lucy Bradley für Köln sehr präzise einstudierte Inszenierung wirkt so ungemein lebendig, weil sie angesichts der vielen Mietshausbewohner und ihrer kleinen Nebengeschichten und -figuren das Wesentliche nicht aus den Augen verliert. Vor allem Annas Tochter Rose rückt in der Inszenierung wie in Weills dramatischem Musical in den Mittelpunkt. Eine junge Frau, die von dem begabten Nachbarn Sam aufrichtig geliebt wird. Nachdem ihr Vater zum Doppelmörder wurde, hat sie aber den Glauben an die Liebe verloren und gibt sich desillusioniert ihrem öligen Chef Harry Easter hin, der ihr für ihre Dienste eine Bühnenkarriere verspricht. Emily Hindrichs spielt und singt diese junge Frau mit viel Herz, zeigt ihre Verletzlichkeit und Stärke gleichermaßen.

Der am Leben verzweifelnden Anna verleiht Allison Oakes eine große Tiefe. Kyle Albertson gibt deren Mann und Mörder Frank keineswegs als eindimensionalen Gewalttäter, sondern auch als irgendwie bemitleidenswertes Opfer. Jack Swansons lyrischer Tenor verleiht dem Sam eine glaubwürdige Tugendhaftigkeit. Insgesamt 33 Solisten finden in dieser englischsprachigen Produktion Beschäftigung, die alle erstklassig besetzt sind. Das gilt auch für die Kinder, im Chor ebenso wie im Solo: Joseph Sonne vom Knabenchor der Chorakademie Dortmund spielt Roses kleinen Bruder hinreißend als kaum zehnjährigen „angry young man“.

Die Musik ist ebenso farbig wie packend, changiert in ihren Nummern heftig zwischen jazzigem Musical und großer Oper, inklusive großer Chorauftritte (Einstudierung Rustam Samedov) und virtuoser Tanzeinlagen (Choreografie: Arthur Pita). Beim Gürzenich-Orchester, das im Saal 2 des Staatenhauses hinter die Bühne platziert wurde, klingt die Partitur unter der Leitung von Tim Murray ebenso virtuos wie idiomatisch. Die Musiker fühlen sich in den jazzigen Rhythmen und Phrasierungen ebenso zu Hause wie in den Nummern mit den ganz großen Emotionen.

Weitere Vorstellungen: 30. April, 2., 5., 8., 10., 12. und 16. Mai. Ca. 3 Std. inkl. Pause. Karten bei Bonnticket.

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