Julian Andersons Oper "Thebans" Ödipus in hundert Minuten

Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu, dichtete Heinrich Heine, eine Wahrheit, die auch auf den griechischen Ödipus-Stoff zutrifft, der seit Sophokles' Dramatisierung unzählige Male in neuen Versionen den Weg zum Publikum fand.

 Antikes Drama: Szene aus Julian Andersons "Thebans".

Antikes Drama: Szene aus Julian Andersons "Thebans".

Foto: THILO BEU

Auch auf den Opernbühnen gibt der tragische Held durchaus häufig ein Gastspiel; Strawinsky und Carl Orff haben ihre Deutung der Geschichte ebenso in Töne gefasst wie Wolfgang Rihm. Und nun der Engländer Julian Anderson, dessen Oper "Thebans" vor einem Jahr an der English National Opera in London mit großem Erfolg uraufgeführt wurde und am Sonntag in der koproduzierenden Bonner Oper ihrer deutschen Erstaufführung entgegensieht.

Zur heißen Phase der Probenarbeit ist Anderson nach Bonn gereist. Wir treffen ihn beim Mittagessen, wo er von "Thebans", seiner ersten Oper erzählt. Für sein Debüt auf der Opernbühne greift er gleich hinein ins volle Theaterleben, mit großem Orchester, neun Solisten und - wie sich's für eine griechische Tragödie gehört - einem groß besetzten Chor. Kein Werk also für die kleine Experimentierbühne.

"Schon als ich 16 war, habe ich davon geträumt, diese Oper zu schreiben", erzählt der 48-Jährige. Aus Andersons Sicht handelt es sich beim Musiktheater um die anspruchsvollste Form des Komponierens. "Der Gedanke an dieser Oper war im Hintergrund immer präsent gewesen, als ich 2010 mit der Arbeit an ,Thebans' begann. Ich sah sie als Möglichkeit, einmal alles auf ein Werk zu konzentrieren, was ich bisher gelernt hatte." Sein reiches Oeuvre zeigt, dass dies nicht wenig ist: In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hat Anderson mit Instrumentalwerken von der Solo-Bratsche bis zum großen Orchester, mit Vokalmusik in unterschiedlichsten Besetzungen oder auch für die Ballettbühne ein enormes Spektrum geschaffen, von dem er nun bei der Arbeit an der Oper profitieren konnte.

Den Text steuerte der irische Dramatiker Frank McGuinnes bei, der 2008 sein Ödipus-Drama nach Sophokles' Thebanischer Trilogie mit "König Ödipus", "Ödipus auf Kolonos" und "Antigone" herausgegeben hatte. Für die Vertonung musste freilich gekürzt werden. "Die ersten zwei Durchgänge hat er selbst vorgenommen, als ich dann noch weitere Kürzungen wollte, gab er mir freie Hand."

Im Ergebnis ist die Ödipus-Trilogie auf der Opernbühne nun auf 100 Minuten Spieldauer konzentriert. In "Thebans" wird die komplette Trilogie erzählt, wobei im Unterschied zu Sophokles' Original hier der nach Ödipus' Tod spielende "Antigone"-Akt der Mittelteil ist.

Bei dem Eingriff in die Chronologie der Ereignisse kommt dem Komponisten entgegen, dass die Handlung so bekannt ist, dass man, ohne im Stück viel erklären zu müssen, solche Veränderungen wagen kann. Mit "Ödipus auf Kolonos" konnte er nun eine Art Endspiel komponieren mit einem bewegenden Schluss, wo Ödipus' Tochter Antigone in einem Lamento den Tod ihres Vaters beklagt, dessen Sterben sie nicht begleiten durfte. Ihm, Anderson, selbst sei es ganz ähnlich ergangen, als sein Vater in London im Sterben lag. Man rief Anderson in Boston an, wo er zu der Zeit wohnte. Er brach sofort auf - aber als er in London ankam, war sein Vater bereits tot und er durfte nicht einmal mehr das Zimmer im Krankenhaus sehen, in dem der Vater gestorben war.

In "Thebans" erlebt der Zuschauer diese herzzerreißende Situation gleichsam als Ende einer langen Reise, die bei der Befindlichkeit eines vom Chor dargestellten Kollektivs beginnt, wie Anderson erläutert, und zu dem einsamen, trauernden Individuum am Schluss führt.

Premiere am morgigen Sonntag, 18 Uhr, Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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