Obduktion am Tresen: "Bennbar" im Bonner Theater

Literarisch-musikalisches Werk von Jennifer Whigham ist in der Werkstatt zu sehen

Obduktion am Tresen: "Bennbar" im Bonner Theater
Foto: Szokody

Bonn. Theater ist nicht mein Fall. Ich finde das Tragische komisch und das Komische nicht übertrieben genug", schrieb Gottfried Benn und überließ das Stückeschreiben anderen. Seine Skepsis der dramatischen Form gegenüber hat jedoch Jennifer Whigham nicht daran gehindert, sich dem Phänomen Benn am Bonner Schauspiel mit den Mitteln des Theaters zu nähern.

"Bennbar" heißt ihre "literarisch-musikalische Obduktion" des Dichters und Arztes in der Werkstatt, und womöglich hätte diese Bühnen-Hommage doch Gnade vor Benns Augen gefunden. Denn die vier Schauspieler nehmen an diesem Abend keine anderen Worte in den Mund als die aus seiner Feder.

Der Übergang von einem gewöhnlichen Septemberabend in die abenteuerlich ambivalente Gedankenwelt des Pastorensohns gestaltet sich fließend: Schon lange vor acht mischen sich Tanja von Oertzen, Anke Zillich, Konstantin Lindhorst und Stefan Preiss im Foyer unter das Publikum, sprechen die Wartenden an und traktieren sie mit witzigen oder kryptischen Zitaten.

Es folgen erste autobiografische Skizzen, bevor die Zuhörer in den Saal komplimentiert werden. Ein helles Weiß kennzeichnet die Bühne von Anne Brüssel, Papierwände dienen als Projektions- und Bekanntmachungsfläche.

Eine aufgehängte weiße Platte taugt zur Theken-Simulation in der Bennbar, brennbar dagegen wären die großen Mengen von zerknülltem Papier, mit denen sich die Darsteller gelegentlich herumplagen - wenn denn die Benn-Bekenntnisse die Bühne in Brand setzen würden. Tun sie aber nicht, weil die Rezitation akademisch bleibt.

Jennifer Whigham präsentiert den Dichter in vier Teilen: als erstes den bekennenden Dualisten, der für seine "Morgue"-Gedichte die Arbeit in der Pathologie lyrisch verarbeitet. Wie viel Klang, Gefühl und Imagination hinter der kühlen Strenge der Form mitschwingen, wird besonders schön erlebbar, wenn Anke Zillich die Gedichte in Chanson-Manier vorträgt (Vertonungen: Michael Barfuß) und dabei von den virtuos melancholischen Intermezzi des Saxofonisten Nico Lengauer und Björn Klaus am Kontrabass getragen wird.

Als zweites lernen wir am Beispiel der kurzen Affäre mit Else Lasker-Schüler und wenig schmeichelhaften Äußerungen über diverse Ehefrauen den Liebhaber, Womanizer und hoffnungslosen Gatten Gottfried Benn kennen: Was macht der Künstler, der keine Lust mehr hat, in zerrissener Bettwäsche zu schlafen und sich die Haferflocken selbst durchs Sieb zu rühren?

"Soll ich nun hier ein Dienstmädchen nehmen und daneben wieder 2-3 Freundinnen, die doch auch alle geheiratet werden wollen, - ich kombiniere das lieber alles und nehme mir eine Frau, die gesellschaftlich sicher ist und arbeiten kann."

Auf den Beziehungskrüppel folgt der politisch Unbedarfte: Benn, der zu Beginn des Nazi-Regimes die aus dem Exil gemachten Vorwürfe seines glühenden Verehrers Klaus Mann zurückweist, von der "letzten großartigen Konzeption der weißen Rasse" schwärmt - und dessen Erwachen um so bitterer ist.

Zum Schluss betritt noch der müde Alte die Bühne, der trotz wachsender Anerkennung, Büchnerpreis und Bundesverdienstkreuz zur schon in jungen Jahren zelebrierten Todessehnsucht zurückkehrt. Keine Frage: Das sprechende, singende und tanzende Schauspielerquartett bringt dem Publikum den ätzenden Zyniker und heimlichen Romantiker, den Arzt, Dichter und Menschenfeind Gottfried Benn ganz schön nah.

Und doch bleibt diese halbszenische Rezitation eine klinische Versuchsanordnung. "Kunst ist auch Kitsch", so Benn, "will ja auch wirken, verzaubern, hinreißen...". In der "Bennbar" darf sie's nur bedingt.

Die nächsten Vorstellungen: 23. und 25. September, 10. und 31. Oktober. Karten unter 77 80 08 und in allen GA-Geschäftsstellen.

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