Kammerspiele Niklas Ritter inszeniert Brechts "Leben des Galilei"

BONN · Niklas Ritters Inszenierung bietet nicht nur viel fürs Auge. Auch die Musik schafft magische Momente und Schauspieler Bernd Braun lebt in der Rolle des italienischen Mathematikers und Astronom auf.

 Gebrochener, einsamer Mann: Bernd Braun spielt den Galileo.

Gebrochener, einsamer Mann: Bernd Braun spielt den Galileo.

Foto: Lilian Szokody

Galileo Galilei übt Selbstkritik. "Ich hatte als Wissenschaftler eine einzigartige Möglichkeit. In meiner Zeit erreichte die Astronomie die Marktplätze. Unter diesen ganz besonderen Umständen hätte die Standfestigkeit eines Mannes große Erschütterungen hervorrufen können. Hätte ich widerstanden, hätten die Naturwissenschaftler etwas wie den hippokratischen Eid der Ärzte entwickeln können, das Gelöbnis, ihr Wissen einzig zum Wohle der Menschheit anzuwenden."

Der Forscher wollte zunächst zwar das neue Weltbild mit der Sonne im Mittelpunkt des Alls durchsetzen, geriet aber mit der Kirche in Konflikt. Die Institution, die durch Galilei die von Gott gesetzte Anschauung der Welt gefährdet glaubte, hatte starke Argumente - die Folterinstrumente der Inquisition - auf ihrer Seite.

Galilei unterwarf sich, widerrief und gab seine revolutionären Erkenntnisse im Geheimen weiter. Galilei ist bei Brecht alles andere als ein Held. Er hängt am Leben und genießt einen bescheidenen Luxus: "Ich brauche Muße", sagt er, "und ich will die Fleischtöpfe."

In Niklas Ritters rund zweistündiger und pausenloser Inszenierung von Brechts "Leben des Galilei" muss Bernd Braun als italienischer Mathematiker und Astronom (1564-1642) nicht den ganzen Text aufsagen.

Das Pathos am Schluss wischt er überdies mit einer Handbewegung hinweg. Alles Unsinn. Ritters und Brauns Galileo Galilei ist zuletzt ein gebrochener, einsamer Mann. "Wie ist die Nacht?", fragt er seine Tochter Virginia (Philine Bührer). "Hell", antwortet sie. Dann wird es dunkel in den Kammerspielen: Galileis Endspiel ist vorüber.

Die Deutung des Galilei erfuhr im Laufe der Jahre dramatische Veränderungen durch den Autor. War der Forscher Galilei in der ersten Fassung noch überzeugt, dass wissenschaftlicher Fortschritt am Ende auch den allgemeinen Fortschritt der Menschheit befördert, so ist dieser Optimismus in den späteren Bearbeitungen Brechts angesichts der Erfindung atomarer Menschenvernichtungswaffen relativiert. Die Wissenschaft scheint sich der Unterordnung unter staatliches Kalkül nicht entziehen zu können.

Brecht hat ein nach wie vor faszinierendes, wirkungsvoll konstruiertes Debattenstück geschrieben. Es überlebt, weil immer wieder Humor und ästhetische Raffinesse aufscheinen. Niklas Ritters Inszenierung bietet viel fürs Auge.

Auf Michael Graessners zunächst schwarz drapierter, später weitläufiger Bühne spielt am Anfang die Musik (Klavier und Orgel: Tilmann Ritter), und Galileis Stimme ertönt aus einem Lautsprecher. Alle Menschen auf der Bühne tragen Weiß, alle sind kahlköpfig: Kunstfiguren, wie von Apple designt. Verfremdung 2.0 sozusagen.

Sie erscheinen als fluchende Karikaturen, surreales Ballett, Standbild, Chor. Es fällt auch ein Schuss. Das bringt Brecht stilistisch in die Gegenwart, doch eine Galilei-Inszenierung, die kokett über dem Boden schwebt, fördert nicht gerade das Verständnis des Debatten-Stückes.

Nach einem apokalyptischen Endzeit-Szenario (Pest!) mit Massengrab verlässt Regisseur Ritter die Welt der Theorie und wechselt vom abstrakten Spiel in die farbige Wirklichkeit.

Auch hier gibt er seiner Fabulierlust nach, lässt eine klerikale Modenschau à la Fellini ("Roma") über den Laufsteg gehen. Susanne Bredehöft (Frau Sarti), Stefan Preiss in mehreren Rollen und Dominik Fornezzi als Ludovico machen dem Komödienautor Brecht alle Ehre.

Ernst machen die Kollegen. Günter Alt als jovialer Inquisitor, Tanja von Oertzen als tänzelnd eine andere Welt suchender Barberini und späterer Papst, Ines Schiller als Andrea Sardi, Julian Mehne als kleiner Mönch sowie Bernd Braun als zerrissener Forscher dringen zum Kern des Stückes vor.

Braun lebt als Galilei auf, als die Freiheit der Forschung greifbar erscheint. Da erfüllt ihn die Leichtigkeit des Seins. Als er das Machtspiel mit der Kirche verliert, spielt er mehr Beckett als Brecht, und zwar faszinierend. Das darf man nicht verpassen.

Auch die Musik schafft an diesem Abend magische Momente. Tilmann Ritter an der Orgel, Philine Bührer am Cello mit dem Prélude der ersten Cello-Suite von Bach: Es ist wie eine poetische Hommage an den großen Wortkomponisten Bert Brecht.

Nächste Vorstellungen: 23. und 31. März, 15., 18., 22. und 28. April. Karten: in den Bonnticket-Shops in den Zweigstellen des General-Anzeigers und bei bonnticket.de

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