Interview mit Ava DuVernay "Nichts gegen alte, weiße Männer"

Ava DuVernay spricht über ihr Meisterwerk "Selma", das eine Episode aus dem Leben Martin Luther Kings erzählt.

 Zurück nach Selma: David Oyelowo in der Rolle des legendären Bürgerrechtlers Martin Luther King.

Zurück nach Selma: David Oyelowo in der Rolle des legendären Bürgerrechtlers Martin Luther King.

Foto: Paramount Pictures

Wenn Schlüsselpersönlichkeiten der Weltgeschichte im Kinoformat porträtiert werden, endet das oft in denkmalpflegerischen Werken. Ava DuVernays oscarnominiertes Drama "Selma" über den Prediger und Bürgerrechtler Martin Luther King (1929-1968), das Donnerstag ins Kino kommt, bildet da eine Ausnahme. Mit der Regisseurin sprach Martin Schwickert.

Warum ist es heute wichtig, einen Film über Martin Luther King zu drehen?

Ava DuVernay: Es war schlicht und einfach höchste Zeit. Die Ereignisse liegen mittlerweile fünfzig Jahre zurück. Man kann es kaum fassen, aber dies ist überhaupt der erste Kinofilm, der die Figur Martin Luther King ins Zentrum stellt. Und trotzdem hat es sieben Jahre gedauert, bis der Film finanziert und fertiggestellt werden konnte.

Warum haben Sie sich dazu entschieden, nur einen kleinen Ausschnitt aus Kings Leben zu zeigen?

DuVernay: Das Leben von Martin Luther King hat eine epische Größe, die sich nicht so leicht in einem zweistündigen Film darstellen lässt. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, einen kleinen Ausschnitt auszuwählen, der der Bedeutung seines Lebens gerecht wird. Was in diesen drei Monaten in Selma geschah, ist auch in den USA längst nicht jedem bekannt. King war da schon auf dem Höhepunkt seiner Macht. Er hat gerade den Nobelpreis bekommen und seine berühmte "I have a Dream"-Rede gehalten. Was tut er danach? Nimmt er eine Position in der Regierung an? Schreibt er ein Buch und wird einfach ein angesehener Intellektueller? Nein, er geht zurück nach Selma, krempelt die Ärmel hoch und leiert eine Wahlrechtskampagne an.

Ihr Film sieht deutlich frischer aus, als man das von einer Filmbiografie gewohnt ist...

DuVernay: Ehrlich gesagt: Ich hasse historische Dramen. Ich liebe Filme, aber gegen Historienschinken bin ich richtiggehend allergisch. Als ich den Regieauftrag für diesem Film bekommen habe, musste ich mir deshalb genau darüber klar werden, was ich an diesem Genre nicht mag. Und das ist vor allem die Patina der Respekts, die durch die historische Distanz entsteht. Darum war es mir wichtig, dass sich das Publikum mitten in diese Zeit versetzt fühlt und emotional mit der Story in Verbindung tritt. Denn das, wofür die Bürgerrechtsbewegung auf die Straße ging - das ist ein bis heute anhaltender Kampf. Übergriffe, wie die auf Rodney King oder Trayvon Martin, geschehen in den USA jedes Jahr. Gerade deshalb war es mir so wichtig, in diesem Film das Gefühl des unmittelbaren Erlebens herzustellen und die Geschichte in Kontext zur Gegenwart zu bringen.

"Selma" erzählt nicht nur aus dem Leben Kings, sondern auch davon, wie sich eine Bürgerrechtbewegung politischen Einfluss erkämpft und welchen Preis die Aktivisten dafür gezahlt haben...

DuVernay: Wir wollten den Mythos dekonstruieren, dass Martin Luther King das alles im Alleingang gemacht hat. Denn in Wirklichkeit war er einer von vielen Führern in dieser Bewegung. Die Suche nach dem richtigen Weg - das waren keine einsamen Entscheidungen, sondern komplexe Gruppendiskussionen, bei denen viele Bedenken und unterschiedliche Meinungen in die Entscheidung eingeflossen sind. Wir wollen in dem Film den Prozess zeigen, mit dem Fortschritt erreicht wird. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung hat dreizehn Jahre lang ihre Aktionen vorbereitet und durchgeführt. Die haben sich nicht mal eben zusammengetwittert und sind dann wieder nach Hause gegangen. Diese Menschen haben sich voll eingesetzt und ihr langer, harter Kampf hat unsere Gesellschaft grundlegend verändert. Ohne diese Bewegung würde ich als schwarze Frau heute nicht hier an diesem Tisch sitzen und über meinen Film reden, sondern Ihnen bestenfalls als Kellnerin den Tee servieren.

Ihr Film hat gerade zwei Oscarnominierung bekommen. Wie wichtig ist Ihnen diese Anerkennung?

DuVernay: Das Problem ist, dass von den mehr als hundert Filmen, die ins Rennen um die Oscarnominierungen gingen, "Selma" der einzige war, der sich überhaupt mit dem Leben von Schwarzen in den USA beschäftigt hat. Und das liegt daran, dass in der amerikanischen Filmindustrie und auch in der Academy im Grunde eine sehr kleine Gruppe das Sagen hat. Diese Gruppe besteht zu 90 Prozent aus Weißen, zu 92 Prozent aus Männern und zu 70 Prozent aus älteren Menschen. Nichts gegen alte, weiße Männer. Ich habe in meinem Freundeskreis einige alte, weiße Männer, die verstehen, dass sie nicht das Zentrum des Universums sind und sie die Welt mit anderen Menschen teilen. Aber die Entscheidungsträger in der Filmindustrie sind sich dessen nicht immer bewusst. Sie haben noch nicht begriffen, dass sie sich der Diversität unserer Gesellschaft stellen müssen.

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