Alfred Brendel feiert seinen 85. Geburtstag Musik, Sinn und Unsinn

Bonn · Es sind nun auch schon wieder mehr als sieben Jahre verstrichen, seit Alfred Brendel der Konzertbühne Adieu gesagt hat. "Ich sehe den Abschied klar und tränenlos", erklärte der Meisterpianist damals in einem Interview mit der "Zeit".

 Alfred Brendel (rechts) mit dem früheren Hansa-Verlagschef Michael Krüger 2011 in Weimar.

Alfred Brendel (rechts) mit dem früheren Hansa-Verlagschef Michael Krüger 2011 in Weimar.

Foto: dpa

Ein Satz, so nüchtern, dass man ihn fast schon als Koketterie empfinden mochte, doch mit dem Abstand einiger Jahre begreift man diese Worte als durch und durch ehrlich. Denn Brendel, der heute vor 85 Jahren im nordmährischen Wiesenberg geboren wurde, ist ja nach seinem letzten Konzert, das er im Dezember 2008 in Wien gab, der musikalischen Welt nicht abhanden gekommen, sondern er teilt sich ihr nur anders mit.

Über Essays und Gedichte, deren Verfassen ihn schon das ganze Pianistenleben begleitet hatte, in Vorträgen und Lesungen, wie noch im vergangenen Dezember im Bahnhof Rolandseck und im Rahmen der Beethoven Competition der Telekom in Bonn. Aber auch als Lehrer öffentlicher Meisterkurse. In dieser Mission kam er ebenfalls nach Bonn: 2010 unterrichtete er auf Einladung des Beethoven-Hauses, dessen Ehrenmitglied Brendel ist, aber nicht Pianisten, sondern junge Streichquartett-Ensembles.

Dass er sich sozusagen zu fachfremdem Unterricht befähigt fühlt, hat mit seinem Selbstverständnis zu tun, das er als Pianist pflegte und in einem Interview mit dem General-Anzeiger ausformulierte: "Ich habe seit meiner Jugend polyphon gedacht und gespielt, und meine Klangvorstellung begnügt sich nicht mit dem Klavierklang: Das Instrument muss ja verwandelt und transzendiert werden. Das Klavier kann singen (...). Dass der Ton auf dem Klavier immer leiser wird, mag physikalisch stimmen. Musikalisch akzeptiere ich das nicht. Ich glaube, dass Streichquartette gern mit mir arbeiten, gerade weil ich nicht an die technischen Gewohnheiten von Streichern gebunden bin, sondern rein musikalisch denke."

Dieses musikalische Denken hatte Alfred Brendel keineswegs mit der Muttermilch aufsaugen können. Er stammt nicht, wie viele seiner berühmten Kollegen, aus einer Musikerfamilie. "Vor meinem fünfzehnten Jahr hatte ich noch kein Sinfoniekonzert, keinen Klavierabend und keine Opernaufführung erlebt. Sporadische Lichtblicke bot manchmal das Radio." Als er drei Jahre alt war, verließen seine Eltern die Heimat und führten auf der damals jugoslawischen Adria-Insel Krk eine Pension. Dass dies nicht eben der perfekte Nährboden war, um als Wunderkind zu gedeihen, hat Brendel aber nie etwas ausgemacht.

Der junge Pianist, der mit sechs Jahren den ersten Klavierunterricht in Zagreb erhielt und mit 17 in Graz sein erstes öffentliches Konzert gab, sah es im Gegenteil immer als Vorteil, in ganz jungen Jahren viele musikalischen Erkenntnisse selbst herausgefunden haben zu müssen. Freilich hatte er als Jugendlicher auch Lehrer von Rang. Der für ihn bedeutendster war Edwin Fischer, dessen Spiel Brendel ebenso wie die Interpretationskunst von Wilhelm Kempff und Alfred Cortot noch immer zutiefst bewundert. Das Virtuosentum eines Vladimir Horowitz ließ ihn hingegen kalt, und die pianistische Exzentrik Glenn Goulds hat für ihn mit Musik nichts zu tun.

Der seit 1970 in London lebende Brendel ist nie ein Pianist der Ex-treme gewesen. Wenn er, meist mit Pflastern an den Fingerkuppen, am Klavier saß, durfte man kein pianistisches Feuerwerk erwarten. Zirzensische Nummern wie Igor Strawinskys Petruschka-Sätze oder Mily Balakirevs "Islamey" hat er als neugieriger junger Pianist zwar geübt. Nachhaltiges Interesse weckten sie bei ihm nicht. Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass Brendel zu den ganz großen Interpreten der Klaviermusik des für seine pianistischen Hexenkünste berüchtigten Franz Liszt zählt. Doch dies gerade weil er über die virtuosen Aspekte hinausgehend in die Tiefenschichten der oft unterschätzten Kompositionen vorzudringen in der Lage war.

Der Philosoph am Klavier, wie man ihn häufig nennt, fühlte sich vor allem in der Musik der Wiener Klassik zu Hause: Haydn, Mozart und Beethoven. Auch Schubert, Schumann und Brahms zählen zu seinen Hausgöttern. Von Arnold Schönberg hat er eine fantastische Aufnahme des Klavierkonzertes eingespielt. Doch weiter ist er nur selten in die Musik des 20. Jahrhunderts vorgestoßen.

Dass die Werke Ludwig van Beethovens so etwas wie ein Zentrum seines musikalischen Denkens und Fühlens bilden, lässt sich an der mehrfachen Gesamteinspielung der sämtlichen 32 Klaviersonaten schon quantitativ ablesen. Dabei entspricht es freilich Brendels Naturell, dass er nicht nur das Erhabene in der Musik des Komponisten schätzt. Über Beethovens Sonate op. 31 Nr. 1 sagte er einmal: "Der Pianist, dem es am Ende dieser Sonate nicht gelungen ist, jemandem einen Lacher zu entlocken, sollte Organist werden."

Der Humor ist für Brendel lebenswichtig und in seinen Essays und Gedichten präsent wie eh und je. Gerade erst ist in London seine jüngste Essay-Sammlung erschienen. Der Titel: "Music, Sense and Nonsense". Musik, Sinn und Unsinn - so könnte auch seine Biografie überschrieben sein.

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