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Bonn · Klaus Weise inszeniert Franz Schrekers Oper "Der ferne Klang". Will Humburg dirigiert mit Leidenschaft.

 Szene aus der Bonner Inszenierung von Franz Schrekers Oper "Der ferne Klang".

Szene aus der Bonner Inszenierung von Franz Schrekers Oper "Der ferne Klang".

Foto: Thilo Beu

Mit seiner Oper "Der ferne Klang" hatte derÖsterreicher Franz Schreker den Nerv seiner Zeit getroffen. Die Uraufführung1912 in Frankfurt wurde ein sensationeller Erfolg und verhalf ihm alsKomponisten endgültig zum Durchbruch. Erst als die Nazis 1933 die politischeBühne in Deutschland betraten, wurde die Erfolgsserie weiterer Opernwerkebrutal gekappt. Denn Schreker war Jude.

Dass sein Erfolgsstück auch heute nochfunktioniert, zeigt die rauschhafte Neuinszenierung des "FernenKlanges" des Bonner Generalintendanten Klaus Weise, die vom Publikum mitbegeistertem Beifall aufgenommen wurde.

Schrekers Musik mag nicht so fortschrittlich sein wiediejenige Schönbergs, aber der Komponist ist kein Rückwärtsgewandter. In"Der ferne Klang" lässt sich das an den exzessivenRaumklang-Inszenierungen festmachen; die Schichtungen und filmartigen Montagen,die der Komponist vornimmt, waren damals etwas Unerhörtes.

Im zweiten Akt derOper, der das wilde Treiben in einem Edelbordell im Golf von Venedig schildert,weitet sich der musikalische Raum extrem aus: Auf der Bühne spielt mit Geigenund Hackbrett eine Zigeunerkapelle, der Chor singt vom Zuschauerraum aus, vonder Unterbühne tönt venezianische Musik, und über den Köpfen des Publikumträllert von der Lichtbrücke herab ein Chevalier (beeindruckend: MarkRosenthal) das Couplet "Blumenmädchen von Sorrent". Und dazu spieltnoch ein groß besetztes Orchester. Die Soundeffekte in einemDolby-Surround-Kino sind Kinderkram dagegen.

Möglich ist das freilich nur, wenn am Pult ein Dirigent wieWill Humburg steht, der die Fäden zusammenhält. Er ist die perfekte Mischungaus Präzision und Inspiration. Die Musiker des Beethoven Orchesters reagiertenmit instrumentalem Hochdruck, brachten die Farben desInstrumentations-Zauberers Schreker aufs Herrlichste zum Leuchten.

Schreker betreibt diesen Aufwand, um eine zeittypischeLiebesgeschichte zu erzählen. Das vom Komponisten verfasste Libretto wirkt einwenig, als hätte Sigmund Freud mitgeschrieben. Wenn Schrekers Bühnen-Alter-Ego,der junge Komponist Fritz, seine Geliebte Grete zurücklässt, um in die Welthinauszuziehen und einen geheimnisvollen fernen Klang aufzuspüren, hat das auchmit Triebsublimierung zu tun.

Die zerrüttete Vater-Tochter-Beziehung ist esebenfalls wert, auf der Couch analysiert zu werden. Fritz nämlich lässt Gretein einem Umfeld zurück, das von familiärer Kälte und Gewalt geprägt ist, wassich auf der Bühne von Beginn an mit bedrohlichen Schattenspielen johlenderWirtshausgänger andeutet. Es sind die Kumpane von Gretes Vater, der seineTochter beim Kegeln verliert; an den Wirt, dessen Lächeln dem des Batman-Jokersnachgebildet ist.

Aus diesem Milieu befreit wird Grete von einer altenKupplerin, die sie als Kurtisane fürs Edelbordell "La casa dimaschere" nach Venedig schafft. Als eines Tages Fritz sich dorthinverirrt, verlässt er sie ein zweites Mal - angewidert von ihrer Profession.Erst im dritten Akt findet das Paar nach Jahren zusammen, wenn Fritz, den derErfolg verlassen hat, in ihren Armen stirbt. Seine letzten fiebrigen Gedankenaber gelten nicht Grete, sondern dem fernen Klang.

Für die Geschichte findet Weise ebenso einfache wieüberzeugende Bilder. Die Verrätselung ist sein Anliegen sichtbar nicht. Am Endedes ersten Aktes öffnet sich etwa eine riesige Muschel (Bühne: Martin Kukulies,Kostüme: Dorothea Wimmer), die sozusagen Gretes zweite Geburt als Venussymbolisiert, nachdem die von Selbstmordgedanken geplagte junge Frau untereinem Baum das Erwachen ihrer Sexualität verspürte.

Ingeborg Greiner und Michael Putsch spielen das Paarungeheuer intensiv. Leider war Putsch am Premierenabend stimmlich nicht in derVerfassung, seine Partie auch zu singen, so dass der Tenor Mathias Schulz vomBühnenrand aus den Gesang beisteuerte. Ingeborg Greiner füllte ihre anspruchsvollePartie hingegen auch stimmlich auf höchstem Niveau aus. Ihr Sopran besitzt dieFülle, sich über dem Riesenorchester Gehör zu verschaffen, aber auch lyrischund innig kann sie singen.

Frank van Hove (Wirt), Anjara I. Bartz (Altes Weib), RenatusMészár (Dr. Vigelius), Giorgos Kanaris (Schauspieler) beeindruckten ebenfallsmit großartigen Leistungen. Julia Kamenik, Kathrin Leidig und Emiliya Ivanovawaren als Mizzi, Milli und Mary ein hinreißendes Mädchenterzett, Egbert Heroldund Suzanne McLeod überzeugten als Eltern. Chor und Extrachor der Oper wird indiesem Stück viel abverlangt. Unter Sibylle Wagners Leitung blieben hier keineWünsche offen.

Termine: 14. Dezember, 21. Januar, 10./26. Februar, 10./17.März. Karten u.a. in den GA-Zweigstellen oder bei bonnticket.de.

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