Kölner Sommerfestival Mit dem Timbre eines Grizzlybären

Washington, D.C · George Gershwins Oper „Porgy and Bess“ gastiert in einer Produktion des New York Harlem Theatre in der Kölner Philharmonie. Eine Spurensuche in Washington, D. C.

Der Himmel über dem Jefferson Building ist wolkenfrei und blau wie das Meer, und der Lack auf dem Steinway-and-Sons-Flügel ist streifenfrei und schwarz wie die Nacht. Die Menschen auf den Straßen von Washington, D. C., ächzen an einem Freitagvormittag im Juni unter dem für die US-Hauptstadt typischen Wetter: heiß und drückend schwül. Das Jefferson Building ist das historische Herzstück der Kongressbibliothek, der größten Büchersammlung der Welt. Es ist angenehm kühl in dem neoklassizistischen, palastartigen Bauwerk. Und der auf Hochglanz polierte Steinway-Flügel ist das Herzstück im „George and Ira Gershwin Room“. Raymond A. White bittet mit einladender Geste in den schummrig beleuchteten Raum.

Mister White trägt ein dunkelblaues Jackett mit blassgelber Krawatte. Seit fast drei Jahrzehnten ist er in der Musikabteilung der Kongressbibliothek tätig und darüber hinaus Kurator der George-Gershwin-Sammlung. Gershwin (1898-1937) komponierte an jenem Steinway auch sein wohl berühmtestes Werk, die Oper „Porgy and Bess“, die vom 10. bis zum 14. August im Rahmen des Kölner Sommerfestivals in der Philharmonie aufgeführt wird – in der Inszenierung des New York Harlem Theatre, mit rund 50 stimmgewaltigen Darstellern und großem Orchester.

White zeigt auf das Grand Piano und weist darauf hin, dass Gershwin sich erst überwinden musste, um auf dem Instrument etwas entstehen zu lassen. „Auf dem Klavier zu komponieren, ist keine gute Praxis“, wird der ruhmreiche Tondichter und Schöpfer der „Rhapsody In Blue“ zitiert, „aber ich fing auf diese Weise an und es wurde dann zur Gewohnheit.“ Dann führt White seine Gäste aus Europa hinter die Kulissen, in einen Raum, der an eine Künstlergarderobe erinnert. Dort liegen die Originalpartituren von Gershwins „Porgy and Bess“ aufgeschlagen, die ansonsten in den Archiven der Kongressbibliothek schlummern und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Mit schwarzer und königsblauer Tinte hat Gershwin akkurat und aufwändig, im Grenzgebiet zur Kalligraphie, die Kladden beschriftet.

"Ich konnte nicht aufhören, der Aufnahme zu lauschen."

Abendessen im Restaurant „Ardeo & Bardeo“ an der Washingtoner Connecticut Avenue. Alvy Powell hat gerade sein Carpaccio genossen und könnte mit seinem beeindruckend sonoren Organ glatt Schauspieler James Earl Jones beerben, dessen gebrummtes „This is CNN“ jahrelang die Clips für den Nachrichtensender unterlegte. Powell lacht und erzählt eine Anekdote, wie er Jones tatsächlich einmal traf und die beiden sich im heiteren Wettstreit in Sachen Tieftöne zu unterbieten versuchten. Powell ist Porgy, und zwar einer der renommiertesten Porgy-Darsteller weltweit – er trat in dieser Rolle bereits an der Mailänder Scala, der Pariser Oper, der Houston Grand Opera sowie in Tokio und Australien auf. „In der Schulbücherei entdeckte ich im Alter von 14 Jahren ein schönes, buntes Schallplatten-Album und hörte über Kopfhörer hinein.“ Powells Augen erhalten einen sanft schimmernden Glanz. „Ich konnte nicht aufhören, der Aufnahme zu lauschen und verpasste dadurch den Rest des Unterrichts.“ Der 60-jährige, dunkelhäutige Sänger, der in Cape Charles im US-Bundesstaat Virginia aufwuchs, hat die Rolle weit mehr als 2000 Mal verkörpert. „Mein Charakter ist mein Charakter“, sagt er mit seinem Grizzlybärtimbre. „Porgy ist in mir. Ich fühle mich wie ein Teil des Vermächtnisses, denn ich habe alles vom Original-Porgy gelernt.“ Todd Duncan war der erste Porgy-Darsteller in Gershwins „Folk Opera“, wie der Komponist das Werk, das im September 1935 in New York City uraufgeführt wurde, selbst nannte.

1990 traf Powell dann auf den Dirigenten William Barkhymer, der gerade ein Ensemble für „Porgy and Bess“ zusammenstellte und nun neben ihm im Washingtoner Restaurant sitzt. „Porgy and Bess“ ist bereits die fünfte Produktion des New York Harlem Theatre, für die Barkhymer als künstlerischer Leiter und Dirigent verantwortlich zeichnet. Dass das Ensemble komplett mit schwarzen Künstlern besetzt ist, liegt in der langen Aufführungstradition begründet. „Gershwin hat das nicht bestimmt; für ihn war das selbstverständlich“, erzählt Barkhymer und bestellt ein Mousse au chocolat. „Er wollte ein ernsthafter Komponist sein, reiste oft nach Europa und interessierte sich für alles. Und das sieht und hört man in 'Porgy and Bess'.“ Barkhymer stammt aus Pennsylvania und studierte in Wien. Für ihn ist Gershwin „der faszinierendste Komponist aus den USA. Seine Harmonien waren einmalig, sehr modern – das hat sonst niemand zu jener Zeit geschafft“.

Porgy and Bess, 10. bis 14. August in der Philharmonie (in englischer Originalsprache mit deutschen Übertiteln). Karten in den GA-Zweigstellen und unter Tel. (0228) 50 20 10

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