Mikhail Pletnev und die neue Empfindsamkeit

Klangtüftler bot in der Beethovenhalle seine Paradestücke

Bonn. Es gab natürlich Ovationen für Mikhail Pletnev, als er in der Beethovenhalle mit Beethovens Klavierkonzerten 4 und 5, den Paradestücken des Repertoires, seinen Bonner Groß-Auftritt beendet hatte. In einem Punkt völlig zu Recht, denn was bei Pletnev abläuft, ist schlichtweg ein Wunderwerk an Präzision und Perfektion. Das hatte man am Abend zuvor schon an den ersten drei Konzerten bewundern können.

Das Ganze ist demnächst gründlichst nachzuhören, zunächst bei der Deutschen Welle, später in Aufnahmen der Deutschen Grammophon, die den Bonner Parforce-Ritt mitgeschnitten hat. Ob dies Aufnahmen sind, die sich auf dem gut bestückten Markt der Beethoven-Klavierkonzerte behaupten können, ist trotz der fingerfertigen Brillanz von Pletnev zweifelhaft.

Man hat in Bonn einen Klangtüftler gehört, einen in sich versunkenen Pianisten, dem beim Aushorchen von ungezählten Details die Klavierkonzerte abhanden gekommen sind. Das schien besonders bei den beiden letzten Konzerten der Fall zu sein. Nichts wollte sich hier zum Ganzen fügen; die Interpretation hatte keinen Zug ins Große, sie blieb stecken in schwärmerisch ausgehörten Episoden.

Die Einleitungstakte des 4. Klavierkonzerts waren ein Musterbeispiel dafür. Im Gegensatz zu vielen anderen Pianisten beachtet Pletnev die Stakkato-Punkte des Hauptthemas sehr genau; wer darin einen Hinweis auf die musikantische Durchdringung des Satzes sehen will, wird schnell enttäuscht: Pletnev stoppt ab, verlangsamt, dehnt, bis das Material sich in kürzester Zeit gleichsam verflüchtigt hat. So geht das immer wieder, der Manierismen ist kein Ende. So viel Traum-und Selbstverlorenheit war selten.

Keine Frage, das alles klingt für sich großartig, weil Pletnev ein Nuancierungskünstler ist - nur mit Eigenwilligkeiten freilich und Sensibilität ist den Konzerten nicht beizukommen. Erst recht nicht dem 5., das von jeder triumphalen Geste ziemlich weit entfernt war.

Es gab kein Orchester, das hier für ein Gegengewicht gesorgt hätte. Das von Pletnev gegründete Russische Nationalorchester spielte unter Christian Gansch und nahm den ganz und gar assistierenden Part ein.

Selbst da, wo es eine absolut eigene Stimme haben muss - im Dialog von Orchester und Klavier im zweiten Satz des G-Dur-Konzertes beispielsweise -, war nichts von herrischem Aufbegehren zu hören. Konturen sehen anders aus. Das Orchester beherrscht vor allem ein wunderschönes Pianissimo; im Zusammenspiel mit Pletnev ging die Selbstverleugnung freilich auch bis ins Unhörbare.

Es war ein merkwürdiger Zyklus: ein zweifellos großartiger Pianist, dessen Suche nach dem "eigenen" Beethoven-Stil in aller Subjektivität viele Fragen stellt - und wenig Antworten gibt.

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