Rezension Michael Horenis berührendes Buch über die Fußball-Brüder Boateng und deren Karrieren

bonn · In einem Käfig fing alles an, dem Fußballkäfig an der Panke im Berliner Problemviertel Wedding. In diesem Käfig kickten die Brüder George, Kevin und Jérome Boateng. Hier entwickelten sich ihre Talente und Strategien, durchs Leben zu kommen, hier wurden sie kreativ und hart zugleich, von hier aus gingen zumindest zwei der Brüder in die Welt, um in neuen Käfigen, diesmal Stadien, aufeinanderzutreffen.

 Ungleiche Brüder: Kevin-Prince Boateng (l.) im Trikot des Vereins FC Portsmouth (2009), der deutsche Nationalspieler Jérome Boateng (2010)...

Ungleiche Brüder: Kevin-Prince Boateng (l.) im Trikot des Vereins FC Portsmouth (2009), der deutsche Nationalspieler Jérome Boateng (2010)...

Foto: dpa

George, der älteste und wohl begabteste Fußballer der drei Boatengs, kam, was im Wedding nicht selten war, mit dem Gesetz in Konflikt. Die Kicker-Karriere scheiterte. Heute züchtet er spanische Doggen und Hirtenhunde, lebt, finanziell unterstützt von seinen Brüdern, nicht mehr im Wedding, sondern in Reinickendorf, kümmert sich um seine am Down-Syndrom erkrankte Tochter.

Kevin, der mittlere Boateng-Bruder, der sich bald nach seinem Vater Prince nannte, kann auf eine äußerst turbulente Fußballerkarriere zurückblicken, er spielt heute beim AC Mailand. "Ich komme aus dem Wedding. Da wird man Drogendealer, Gangster oder Fußballer", hat er beim Start seiner Karriere gesagt. Jérome, der Jüngste, hat auch zahlreiche Stationen hinter sich, ist heute beim FC Bayern und deutscher Nationalspieler.

Drei junge Männer aus zwei Ehen des Ghanaers Prince Boateng, der mit einem Ingenieur-Stipendium nach Deutschland kam: George und Kevin wachsen mit ihrer Mutter im harten Berlin-Wedding auf, Jérome mit seiner Mutter im eher behüteten Berlin-Wilmersdorf. Der Sportjournalist Michael Horeni hat sich in einem brillant und sehr spannend geschriebenen Buch dieser drei Biografien angenommen, hat viel recherchiert und zahllose Gespräche geführt.

Sein gerade erschienenes Buch "Die Brüder Boateng. Drei deutsche Karrieren" ist aber weit mehr als die Schilderung dreier so unterschiedlich entwickelter Lebensläufe, die vom Käfig im Wedding und Anfängen bei Hertha BSC quer durch die Republik, nach Manchester, Tottenham, Mailand und bis nach Südafrika führten. Horeni ist ein mitunter bedrückendes Buch über die Mechanismen des Profifußballs in Deutschland gelungen, über vorbildliche (VFB Stuttgart) und haarsträubende (Hertha) Jugendarbeit in den Vereinen, über sogenannte Berater, über Trainercharakter von Jol und Stevens bis Klopp und Löw und Ligen, in denen von jungen Talenten extrem viel verlangt wird - und mancher daran zerbricht.

Horeni schreibt über einen brachialen Rassismus, der insbesondere Kevin und Jérome in Stadien der neuen Bundesländer und durch rechtsextreme Fußball-Foren im Internet zusetzte. Was aber das Buch zusätzlich auszeichnet, ist die Analyse der Sportpresse, die sich gerade beim Beispiel Bildzeitung als Verlängerung des dumpfesten Stammtisches präsentiert.

Kevin bricht zeitweilig den Kontakt zur Familie ab

Breit widmet sich der Autor dem schlimmsten Foul der deutschen Fußballgeschichte. Als der Spieler des FC Portsmouth, Kevin Boateng, im Mai 2010 beim Cup-Finale im Wembley-Stadion den Chelsea-Spieler Michael Ballack krankenhausreif tritt, schaltet er damit auch unmittelbar vor der Fußballweltmeisterschaft den Kapitän der deutschen Nationalmannschaft aus, gegen die Kevin als Nationalspieler Ghanas bald spielen wird. Das Foul des "Brutalo-Treters, des Kickers aus dem Ghetto" (Horeni) bringt Fußballdeutschland an den Rand einer nationalen Katastrophe. Medien und Stammtische attackieren nicht nur Kevin und den Bruder des Übeltäters, Jérome - gegen den deutschen Nationalspieler wird Kevin-Prince bei der WM antreten.

Auch George Boateng und Jéromes Mutter werden bedrängt. Kevin bricht zeitweilig den Kontakt zur Familie ab. Geradezu distanziert referiert Horeni über die aufgeheizte Stimmung, versucht die Vorgeschichte des Fouls zu rekapitulieren. Fußballerisch überzeugt der ghanaische Nationalspieler Kevin Prince beim WM-Turnier auf ganzer Linie. Der "Spiegel" nennt ihn perfide "Der Ballack Ghanas". Doch menschlich ist der über und über tätowierte Übeltäter unten durch. In Interviews tönt er, bei ihm hätten sich viele Fans des brillanten Spiels der jungen deutschen Mannschaft bedankt, weil er den DFB von Ballack "befreit" habe.

Den Mythos von genialen Straßenfußballer, der in der Enge der Käfige und auf dem harten Pflaster von Problemvierteln das Rüstzeug für eine Weltkarriere bekommt, teilen Kevin und Jérome Boateng mit Zinédine Zidane, Mesut Özil und Wayne Rooney. Horeni verfällt bei aller Bewunderung nicht in den Fehler, das zu idealisieren, schaut ganz im Gegenteil genau hin, wie etwa die Sozialisierung im Wedding mit einem sehr hohen Ausländeranteil funktioniert, welche Chancen im "Einwanderungsland Deutschland" vertan werden, das inzwischen keine Nationalmannschaft mehr hat, sondern eine "Internationalmannschaft".

Lesung in Bonn: Der FAZ-Sportjournalist Michael Horeni stellt auf Einladung des Literaturhauses Bonn am Mittwoch, 30. Mai, 19.30 Uhr, im Sportpark Nord, Kölnstraße 250, sein gerade erschienenes Buch "Die Brüder Boateng. Drei deutsche Karrieren" vor. Das Gespräch mit dem Autor Horeni und George Boateng wird von dem GA-Redakteur Cem Akalin moderiert. Karten (12/6 Euro) gibt es an der Abendkasse, können aber auch unter post@literaturhaus-bonn.de oder 0177/4539722 reserviert werden. Michael Horenis Buch über die Brüder Boateng ist im Tropen Verlag erschienen, 268 S., 18,95 Euro.

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