Interview mit Nike Wagner „Mein Lieblingsprojekt war das Pianodrom“

Bonn · Beethovenfest-Chefin Nike Wagner spricht im GA-Interview über Höhepunkte des Festivals 2016 und über Pläne für 2017. Sie verspricht: "Im nächsten Jahr werden wir das Eröffnungswochenende noch größer gestalten, um unsere Präsenz in der Stadt zu betonen."

Vier Wochen lang stand das Beethovenfest im Zeichen des diesjährigen Mottos „Revolutionen“. Das Abschlusskonzert in der Beethovenhalle bestritten gestern Abend das London Symphony Orchestra unter der Leitung von John Eliot Gardiner und der Monteverdi Choir (Bericht in der morgigen Ausgabe). Mit Festivalchefin Nike Wagner sprach .

Das Beethovenfest geht zu Ende. Was waren in diesem Jahr Ihre ganz persönlichen Konzerthöhepunkte?

Nike Wagner: Zuerst Konstantin Scherbakovs „Eroica“ in der Klavierfassung von Franz Liszt. Eine intensive Angelegenheit war auch Lucinda Childs „Dance“. Unwiderstehlich: Kirill Petrenko, vor allem mit Ligeti und Bartók. Und das Mahler Chamber Orchestra ohne Dirigent, aber mit Pekka Kuusisto als herausragenden Solisten in Beethovens Violinkonzert. Überwältigend auch das Ural Symphony Orchestra mit Prokofjews Kantate zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution, die zum „Grellsten“ zählt, was Prokofjew in der Sowjetunion geschrieben hat. Hinreißend Strawinskys „Sacre“ in der Interpretation der „Les Siècles“. Und Berlioz' „Lélio“ mit dem BOB war ein Ereignis! Jetzt möchte ich aber auch zwei „Kleinigkeiten“ nennen, die mich vielleicht am meisten gefreut haben.

Die wären?

Wagner: Der „Tag der Bagatellen“ im Beethoven-Haus mit verschiedenen Pianisten und Musikwissenschaftlern. Ein Tag der Konzentration und Vertiefung. Es gab „Bagatellen“-Beispiele vor Beethoven, von Beethoven und nach Beethoven – und es war fabelhaft, genau zu verstehen, warum Beethoven besser ist als viele andere. Mein stilles Lieblingsprojekt 2016 aber war das „Pianodrom“ im Innenhof des Poppelsdorfer Schlosses. Das hat genau so funktioniert, wie ich es mir erträumt hatte. Eine lockere, kommunikative Situation für Musiker und Hörer. Der optische Aspekt hatte größten Charme – jedes Mal, wenn die jungen Pianisten wechselten, sank das aufblasbare Tonzelt ein bisschen in sich zusammen und richtete sich bei den ersten Tönen wieder auf – ganz herrlich, sehr verschmitzt!

Es war ja auch eine Art Versuchsballon für das Projekt eines aufblasbaren Kammermusiksaals. Sind Sie bei Ihrer Suche nach einem Sponsor schon weitergekommen?

Wagner: Ich hatte zuletzt Gespräche darüber mit der Deutschen Post DHL. Es gefiel die Vorstellung, dass die Eingänge durch Container gebildet würden, denn Container könnten durchaus als Symbol für ein Logistikunternehmen stehen. Ich hoffe auf weitere Gespräche und Chancen für 2020.

Trotz aller Flaggen, die in Bonn zu sehen sind, könnte die Präsenz des Beethovenfestes in der Stadt stärker sein. Wäre da nicht eine Art Festival-Café in der Innenstadt als Ort der Begegnung von Publikum, Festivalleuten und Künstlern eine schöne Sache?

Wagner: Wir sind unterwegs. Im nächsten Jahr werden wir das Eröffnungswochenende noch größer gestalten, um unsere Präsenz in der Stadt zu betonen. Aber Sie haben recht, da kann es nie genug geben. Ein eigenes Festivalzelt im Zentrum der Stadt für die Dauer des Festivals – mit einem ständigen Kommen und Gehen, wo man Kaffee trinkt, Informationen einholt und wo Tickets verkauft werden können – das wäre schön! Nur wo? Auf dem Markt oder dem Münsterplatz wäre es ideal. Und wer würde sponsern?

In diesem Jahr war das Motto „Revolutionen“. Am Tag der deutschen Einheit war das Beethovenfest aber mit keiner größeren Veranstaltung präsent.

Wagner: Sicher, das hätte auch gut zu unserer politischen Thematik gepasst. Aber nach unseren vollgepackten Wochenenden ist der Montag im Allgemeinen veranstaltungsfrei. Im Übrigen hatten wir eine große Diskussion im Haus der Geschichte über den Sinn und Zweck von Revolutionen – die berührte auch die jüngeren deutschen Ereignisse.

Wäre das nicht eine tolle Gelegenheit gewesen, etwa mit Beethovens Neunter an die friedliche Revolution, die zur Wiedervereinigung führte, zu erinnern?

Wagner: Nein, das wäre mir zu „allgemein menschheitlich“ gewesen. Wir hatten ja ein präzises Konzert zum Thema im Programm: das Leipziger Streichquartett spielte Werke von Komponisten aus der DDR.

Sie erwähnten eben schon das Ural Symphony Orchestra. Vor allem der zweite Abend hätte deutlich mehr Zuhörer verdient. Das gilt auch für die zwei Auftritte von François-Xavier Roths Orchester „Les Siècles“. Woran lag's?

Wagner: Mir unverständlich. Dabei ist Francois-Xavier Roth, der Gürzenich-Chef, ein ganz fabelhafter Dirigent. Nie hab ich die Revolution in der Musik – Strawinkys „Sacre“ – deutlicher und besser gehört als unter seiner Leitung. Das „Gehärtete“ kam aber nicht nur durch die Erstfassung des „Sacre“ zustande, sondern auch durch den Klang der historischen Instrumente und deren Spielweise. Es hat die Leute von den Sitzen gerissen. Ich hörte, dass die Bonner gesagt haben, „den Roth haben wir doch nebenan in Köln“. Das ist aber ein wenig kurzsichtig, weil er ja mit „seinem“ Ensemble – eben „Les Siècles“ – zum ersten Mal in dieser Region aufgetreten ist.

Ist es vielleicht einfach zu viel, mit solchen noch relativ unbekannten Orchestern die Beethovenhalle zwei Mal füllen zu wollen?

Wagner: Relativ unbekannt? Ich bitte Sie! Aber natürlich machen wir unsere Erfahrungen mit Bonn. Das Engagement von „Ural“ und „Siècles“ hing mit den beiden Programmschwerpunkten Russland und Frankreich zusammen. Ich vertraue jedoch auf die Neugier und die „Erziehbarkeit“ des Publikums, und wir haben mit Dettloff Schwerdtfeger einen neuen Geschäftsführer ...

...für den es jetzt das erste Beethovenfest gewesen ist ...

Wagner: Ja, und der sehr erfahren ist im Marketing. Aber Sie wissen, das Beethovenfest will Profil gewinnen, und da gibt es dann auch andere Gesichtspunkte als die Massentauglichkeit.

Als Uraufführung eines Werkes, das von Ihnen ausgewählte Komponisten über ihr „Lieblingsstück“ von Beethoven schreiben sollten, hörten wir in diesem Jahr Hugues Dufourts „Ur-Geräusch“, das sich auf die „Eroica“ bezieht.

Wagner: Auch dieses Stück zählte zu meinen Festivalfavoriten! So schön durchgehörte, dichte Klangfarben! Ich bin den musikalischen Verläufen gespannt gefolgt und fand es wunderbar, dass Dufourt sich im Gegensatz zur sehr extrovertierten „Eroica“ sehr introvertiert gegeben hat, sich in diesem Werk sozusagen über das Innere des Menschen beugt. Es soll ja keine Beethoven-Paraphrase mit vielen wiedererkennbaren Zitaten sein, sondern eher eine Juxtaposition, ein Nebeneinander. Im nächsten Jahr setzen wir das Projekt mit einem neuen Werk von Vladimir Tarnopolski fort.

Im vergangenen Jahr Salvatore Sciarrino, dieses Jahr Hugues Dufourt und im kommenden Jahr also Tarnopolski. Drei Komponisten jenseits der sechzig und männlich. Wäre es nicht spannend, einen Jüngeren zu befragen, oder eine Komponistin?

Wagner: Es gibt eine Komponistin, die ich sehr umworben habe für 2020. Aber die Verhandlungen sind leider nicht zu einem Abschluss gekommen. Bei meinen Aufträgen spielen Genderkriterien grundsätzlich keine Rolle, es geht mir allein um die Qualität des Komponierens, egal ob aus männlicher oder weiblicher Feder. Die Musik muss überzeugen. Wenn die Frauen sich Männerdomänen in der Musik erobern wie etwa die Dirigentin unseres Orchestercampus, Alondra de la Parra, bin ich aber die erste, die jubelt!

Und jüngere Komponisten der Generation um die 30?

Wagner: Ich höre mich viel um, zum Beispiel beim Ernst-von-Siemens-Musikpreis, wo es auch um die Förderpreise für junge Komponisten geht. Die jungen Komponisten heute können viel, können ihr Handwerk, komponieren häufig sehr klangsensibel – keine Frage, das Mittelfeld mit guter Qualität ist breit besetzt. Aber Herausragendes und Originalität sind nur selten zu finden. Für unsere Uraufführungsaufträge, die ja Huldigungen an Beethoven sind, will ich ausnahmsweise mal nicht den Jungspunt, sondern jemand mit großer Erfahrung und großem Können.

Beethoven hat ja auch mit 30 Jahren schon Großes komponiert.

Wagner: Ja, klar, bei der „Eroica“ war er 33 Jahre alt. Sein „neuer Weg“ begann.

Im nächsten Jahr ist die Beethovenhalle wegen der Sanierung dicht, und Sie ziehen mit den großen Konzerten ins WCCB um. Aber das wird ja als Ersatzspielstätte nicht ausreichen. Gibt es weitere?

Wagner: Wir kultivieren auch die Kreuzkirche. Sie ist ein gut etablierter Spielort, und wir haben viele Ideen, wie wir den nüchternen Innenraum optisch attraktiver gestalten können. Dort sind bereits viele Veranstaltungen 2017 geplant, auch in Zusammenarbeit mit der Kirchenmusikdirektorin Karin Freist-Wissing. Insgesamt werden wir im nächsten Jahr eine Woche weniger spielen, und ich glaube, das hat sein Gutes, das Festival wird konzentrierter.

Gibt es schon ein Motto?

Wagner: Nach den „Veränderungen“ und den „Revolutionen“ wird es jetzt ganz sanft: „Ferne Geliebte“ heißt das Motto 2017, mit Beethovens Liederzyklus „An die ferne Geliebte“ im Mittelpunkt. Bekanntlich ist die Liebe – vor allem die Fernliebe – zentrales Thema der Musik seit den Troubadouren. Aber auch die Ferne ist Thema. Gibt es sie noch im digitalen Zeitalter, wo alles in die Gegenwart geholt und herangeskypt wird?

Können Sie schon ein paar Höhepunkte verraten?

Wagner: Die Eröffnung übernimmt Valery Gergiev mit dem Mariinsky-Orchester, er beginnt mit dem „Lohengrin“-Vorspiel und endet mit Rimski-Korsakovs „Scheherazade“, dazwischen Beethoven. Und zum Abschluss die Bamberger Symphoniker. Beethovens Liederzyklus wird in verschiedensten Formen erklingen und die „Große Fuge“ dreimal vertanzt.

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