"Mein erster Sony" im Theater im Ballsaal

Inszenierung basiert auf Benny Barbaschs gleichnamigem Roman - Eine Geschichte vom Erwachsenwerden

"Mein erster Sony" im Theater im Ballsaal
Foto: Ballsaal

Bonn. "Mein erster Sony". Nicht jede "Geschichte für das neue Jahrhundert", wie das kleine in Bonn, Düsseldorf und Münster ausgetragene Off-Festival heißt, muss weit über den Globus oder tief ins politische Getriebe greifen.

Mitunter reicht auch die Sicht auf ein Nahphänomen wie die Familie. Stéphane Bittouns wunderschöne Inszenierung "Mein erster Sony", die im Theater im Ballsaal zu sehen war, basiert auf Benny Barbaschs gleichnamigem Roman, in dem sich Jotam erinnert, wie er als Zehnjähriger mit dem Kassettenrecorder das Familienleben dokumentiert.

Das ist zuerst eine Geschichte vom Erwachsenwerden. Jotam nimmt den Streit seiner Eltern, den Besuch des Gerichtsvollziehers, den Sex der Cousine auf und entdeckt die Welt im Gleichschritt mit ihrer medialen Speicherung. Stéphane Bittouns Inszenierung erzählt das mit kleinsten theatralen Zeichen. Taschenlampen genügen für das Fremdgehen des Vaters, ein Schlüssel für den Slapstick mit dem Gerichtsvollzieher.

Dass die Inszenierung so voller Elan über die Rampe kommt, ist einerseits den Darstellern Dennis Cubic als Jotam sowie Peter Dischkow, Ralph Gander, Rebecca Rudolph und Juliane Werner zu verdanken. Andererseits auch Bittouns multimedialem Spiel, wenn er Filmbilder von Tel Aviv, Off-Dialoge, Schattenspiel, Tanz oder Sprechtheater rasant mischt.

Schließlich erzählt "Mein erster Sony" auch von der Omnipräsenz des Holocaust in der israelischen Gesellschaft. Jotams Geschichte verbindet sich mit der Bewahrung der Geschichten der Überlebenden. Erinnerung und ihre Weitergabe werden so zur Grundlage des menschlichen Miteinander. Hans-Christioph Zimmermann: "Alles wird sich hier verändern."

Irgendwo im europäischen Nirgendwo, auf einer stillgelegten Müllkippe: Fünf Personen und der Traum vom Neuanfang. Dieses Stück Land wollen sie neu besiedeln, hier sollen blühende Landschaften entstehen, Sportplätze und Wohnanlagen. "Alles wird sich hier verändern" - dies ist die Hoffnung, die ihr Zusammenleben trägt. Und dies ist auch der Titel der neuen Produktion von "unitedOFFproductions", auf die Bühne gebracht im Theater im Ballsaal.

Wird sich hier tatsächlich alles verändern? Und wenn ja: Wird es endlich gut werden? Die fünf Siedler kennen das Elend zu Genüge. Die drei Frauen und zwei Männer wissen genau: "Wenn du gezwungen bist, aus Scheiße Bonbons zu machen und aus Erbrochenem Gold, Bares, Cash, die Miete und das tägliche Brot, dann wird dir schon etwas einfallen." Und nun sitzen sie hier, buchstäblich im Müll der modernen Zivilisation und wagen einen Neuanfang.

Während sich die Fünf noch provisorisch einrichten, kündigen sich bereits ausländische Investoren an. Gegen die Bedrohung von außen sperren sich die Siedler ab - und sperren damit gleichzeitig die Bedrohung von innen ein. Bald entbrennt der erste Streit. Und so steht am Ende nicht Arkadien, sondern eine Katastrophe.

Unter der Regie von Dieter Krockauer entwirft die Truppe ein erschreckendes Szenario. Dabei lehnt sie sich an die sozial-wirtschaftliche Situation in Mexiko an. Im Vorfeld der Produktion unternahm das Ensemble ausgiebige Recherchen in Mexiko-City.

In der erzwungenen täglichen Improvisation des Alltags, der die Menschen hier unterworfen sind, sieht der mexikanische Schriftsteller Juan Villoro eine "Kultur der Post-Apokalypse". Noch scheint uns das weit weg - doch in diesen dramatischen Zeiten der Finanzkrise stellt sich bald die beunruhigende Frage: Leben wir nicht in einer Kultur der Prä-Apokalypse?

Bitter ist die Botschaft, doch leichtfüßig und hoffnungsfroh bleibt die Inszenierung. Das verdankt sie vor allem dem kongenialen Einsatz von Musik und Tanz. Inmitten von Schrott und Schmutz tanzen die Siedler selbstverloren zu irritierend sentimentaler Musik. Hier ein Schuss Slapstick, dort ein Schuss Wild-West, dazu noch ein paar Experimente mit berückend schönen Klangcollagen. Diese Mischung überzeugt ebenso wie das starke Spiel der fünf Akteure.

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