Max Ernst Museum in Brühl zeigt Ausstellung von Sam Szafran

Die beklemmenden Kamerafahrten aus "Im Zeichen des Bösen" von Orson Welles haben bei dem Künstler Sam Szafran ihre Spuren hinterlassen. Und seine gemalten Treppenhäuser sind ohne den Einfluss von Alfred Hitchcocks "Vertigo" kaum denkbar.

 Idylle im Grünen oder doch eine Bedrohung durch den unheimlichen Urwald? Sam Szafrans Aquarell "Sitzende Frau mit Pflanzen" aus dem Jahr 1987.

Idylle im Grünen oder doch eine Bedrohung durch den unheimlichen Urwald? Sam Szafrans Aquarell "Sitzende Frau mit Pflanzen" aus dem Jahr 1987.

Foto: Museum

Brühl. Die beklemmenden Kamerafahrten aus "Im Zeichen des Bösen" von Orson Welles haben bei dem Künstler Sam Szafran ihre Spuren hinterlassen. Und seine gemalten Treppenhäuser sind ohne den Einfluss von Alfred Hitchcocks "Vertigo" kaum denkbar.

Kongenial setzt der Maler die Höhenangst um, den Schwindel, der denjenigen befällt, der tief in den Schlund des Treppenhauses hinabblickt, dann oben ebenfalls keinen sicheren Blickpunkt findet und schließlich auch im Blick durch das Fenster nichts als Verunsicherung erfährt. Virtuos gibt Szafran diese Eindrücke simultan wieder.

Das Auge muss auf dem Großformat wandern, um die Szenerie voller Brüche zu ergründen, und der Betrachter bekommt bald jenen flackernden Blick, für den James Stewart in der Rolle des John "Scottie" Ferguson in "Vertigo" weltberühmt wurde.

Szafrans Treppenhäuser sind Fluchtwege aus einem kaum vorstellbaren eigenen Trauma, so wie die wild wuchernden Philodendren in seinen Bildern etwas Anarchisches, zutiefst Bedrohliches in sich haben. Die Bilder des 1934 in Paris als Samuel Berger geborenen Malers, allesamt exquisit gefertigte Pastelle, Aquarelle und Kohlezeichnungen, vertrackte, höchst komplexe Kompositionen, verstören.

Szafran erste Ausstellung in Deutschland, der kaum eine Handvoll Präsentationen in Frankreich gegenüberstellen, versammelt Bilder und Eindrücke, die man so noch nicht gesehen hat. Das Brühler Max Ernst Museum hat diese außergewöhnliche Premiere organisiert.

Stichwortgeber ist einmal mehr der Spiritus Rector des Hauses, Werner Spies, der Szafran vor Jahrzehnten durch Samuel Beckett und Henri Cartier-Bresson kennenlernte, erst für sich und jetzt für Deutschland entdeckte. Ein kostbarer Solitär in seiner Zeit.

Das Brühler Museum zeigt nun eine Retrospektive der Jahre 1967 bis 2010. Szafrans drei große Themen sind da: Die häufig trickreich verschränkten und aufwendig konstruierten Treppenbilder, die Pflanzenbilder, in denen der gemeine Gummibaum zum gefährlichen Urwaldgewächs mutiert, und schließlich die Atelier-Interieurs, in denen sich Geborgenheit und eine latente Bedrohung die Waage halten.

Man weiß nicht so recht, ob Szafran in seinen Räumen voller Durchblicke, Perspektivwechsel und verschatteten Partien eher der Ästhetik des Film noir folgt, dem präzisen Strich Matisses oder dem Kamera-Auge von Cartier-Bresson. Oder ob in diesen oft mit kostbarem Pastell liebevoll abgetönten künstlerischen Welten Biografisches schlummert.

"Er hatte eine fürchterliche Kindheit", erzählt Spies und nennt nur einige Aspekte: Die Mutter habe ihm gewünscht, er bekomme eine schmerzhafte Flechte und dazu so kurze Arme, dass er sich nicht kratzen könne; als Fünfjähriger floh er in die Kirche Saint-Eustache im Pariser Hallenviertel, ließ sich dort einsperren, verbrachte eine "Nacht des Terrors"; ein Onkel ängstigte den Knaben, indem er ihn über vierstöckiges Treppenhaus hielt und drohte: "Wenn du nicht antwortest, lasse ich dich fallen."

Etliche Bilder des scheuen Künstlers, der in seiner Jugend vor der Mutter und den Nazis auf der Flucht war und viele Verwandte im Holocaust verlor, sieht man angesichts der Biografie mit anderen Augen. Faszinierend dabei, dass sie nicht unmittelbarer Reflex sind, sondern Zeugnisse einer langwierigen Auseinandersetzung, verpackt in einer meisterlichen, zarten, liebevollen Kunst.

Max Ernst Museum Brühl; 7. November bis 30. Januar 2011. Di-So 11-18, Katalog (Feymedia) 29,90 Euro

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