Philharmonie in Köln Mahler Chamber Orchestra und Heinz Holliger: Trauergesang und Tonscherben

KÖLN · Im Juli 2014 stirbt der asthmakranke Afroamerikaner Eric Garner im Würgegriff eines New Yorker Polizisten, nachdem er mehrfach "I can't breathe!" gerufen hat.

Es kommt zu Massenprotesten, als eine Geschworenenjury entscheidet, dass sich der Polizist nicht vor Gericht zu verantworten habe. Ein halbes Jahr später stellt der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas, Musikprofessor an der New Yorker Columbia University, sein Werk "I can't breathe" für Trompete solo fertig - in memoriam Eric Garner.

Für die Uraufführung in der Kölner Philharmonie hat der Neue-Musik-Spezialist Marco Blaauw eine Doppeltrichtertrompete gewählt, um die zahlreichen virtuosen Klangfarbenwechsel mit verschiedenen Dämpfern, extremen Registern und Obertonbildungen besser realisieren zu können. Der zu Beginn im Zwölftonraum weit ausschwingende Trauergesang verengt sich mehr und mehr auf kaum hörbare Mikrointervalle: Nach und nach erstickt die Musik.

Die vom Ensemble Musikfabrik in Auftrag gegebene Komposition ist ein beeindruckender Konzertauftakt. Ein weiteres Werk mit Requiem-Charakter sind Heinz Holligers Orchester-Fragmente "Tonscherben", 1985 in Erinnerung an den israelischen Dichter David Rokeah komponiert. Holliger selbst dirigiert das von Teilnehmern der MCO Academy verstärkte Mahler Chamber Orchestra (MCO) und stellt in den lose miteinander verbundenen Bruchstücken scharfkantige Klangkonturen neben sanft rieselnde Texturen.

Das Orchester ist hellwach bei der Sache: Große dynamische Kontraste und überraschende Spieltechniken aller Instrumentengruppen sorgen für gespannte Aufmerksamkeit, die bis zur abschließenden Andeutung eines Trauermarsches nicht abreißt. Das zweite Holliger-Werk des Abends, "Ardeur noire" (2008), überzeugt weniger.

Obgleich diese Auseinandersetzung mit Debussys Klavierstück "Les soirs illuminés par l'ardeur du charbon" in farbigen Klangwelten schwelgt, rauscht viel davon vorüber. Dafür geht kein Wort der Rückert-Lieder von Gustav Mahler verloren, weil die schwedische Altistin und Mahler-Expertin Anna Larsson zwischen dem Volksliedcharakter von "Liebst du um Schönheit" und dem sich dramatisch steigernden "Um Mitternacht" ein großes Ausdrucksspektrum abrufen kann.

Ihre geschmeidige Stimme, im tiefen Register mit besonders viel Schmelz, leuchtet jeden einzelnen Vers sanft aus. Dem MCO gelingen die schlanken liedhaften Passagen ebenso wie die theatralischen Wendungen; aber die ganze Klasse des Orchesters kann Holliger erst mit "La Mer" von Claude Debussy vorführen.

Wenn im ersten Satz "Von der Morgendämmerung bis zum Mittag auf dem Meer" das Leuchten, Flimmern und Glitzern in Streichern und Bläsern immer heller, immer gleißender wird, sieht jeder im Saal, wie die aufgehende Sonne aus dem Meer emporsteigt.

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