"Lulu" ist erste Inszenierung des Kulturhauptstadtjahres

Dietrich Hilsdorf bringt Alban Bergs Stück in der Essener Aalto-Oper auf die Bühne

"Lulu" ist erste Inszenierung des Kulturhauptstadtjahres
Foto: Thilo Beu

Essen. Der Tod kommt oft überraschend. Als der Medizinalrat Dr. Goll eines Abends das Atelier des Malers Walter Schwarz betritt, den er beauftragt hatte, seine junge, hübsche Frau zu porträtieren, trifft ihn der Schlag.

Sein Herz konnte den Anblick nicht verkraften, dass der Künstler ihr ein bisschen zu nahe gekommen war. Auf dem Bett liegt nun mausetot der arme Doktor. Seine zur Witwe gewordene Frau heißt Nelly, doch eigentlich ist sie Lulu, Frank Wedekinds Femme fatale, der Alban Berg in seiner unvollendet gebliebenen Opernvertonung ein musikalisches Denkmal setzte.

In Essen hat Dietrich Hilsdorf die "Lulu" jetzt als erste Inszenierung des aktuellen Kulturhauptstadtjahres auf die Bühne gebracht. Und wie Lulu mit ihren Identitäten spielt, ihre Namen ebenso häufig wechselt wie ihre Gatten und Liebhaber, die sie allesamt ins Unglück stürzt, so spielt der Regisseur auf sehr subtile Weise und doch äußerst theaterwirksam mit den verschiedenen Realitätsebenen des Stücks.

Hilsdorf fängt das sehr geschickt an und führt den Zuschauer zunächst ein bisschen in die Irre, indem er einen Realismus auf die Bühne bringt, der sich später komplett auflösen wird. Eher en passant wird die im Prolog als "wildes Tier" angepriesene Lulu von einem Saaldiener am Publikum vorbei zur Bühne getragen.

Dass dieses Mädchen eine gefährliche Schlange sein könnte, liegt außerhalb jeder Vorstellung. Sie ist ein Anti-Vamp, wirkt in Renate Schmitzers Kostümen zwar attraktiv, aber auch mädchenhaft, fast unschuldig.

Sie bleibt es auch im weiteren Fortgang der Geschichte, wird zur Projektionsfläche für die Fantasien ihrer Liebhaber und Verehrer: für den Chefredakteur Dr. Schön, für dessen Sohn, den Komponisten Alwa, für den Bettler Schigolch, für den Gymnasiasten Alfred oder auch für die lesbische Gräfin Geschwitz.

Bereits während des Prologs zeichnet sich auf dem Vorhang das erste Bühnenbild ab. Das Atelier des Malers ist ein großes Loft, die umgebaute Etage einer alten Fabrikhalle. Eine relativ neutrale Spielfläche (Bühne Johannes Leiacker), die mit ein paar Handgriffen auch in eine Wohnung oder, fürs dritte Bild, in ein Theater umfunktioniert werden kann.

Wenn die Bühnenarbeiter zu den Umbauten die Spielfläche bevölkern, kann man sie bei geschlossenem Vorhang beobachten. Wie das geht? Jeder Handgriff wird in Echtzeit auf den Vorhang projiziert. Und wenn der sich wieder öffnet, sind Filmbild und Bühne identisch. Das Prinzip ist schnell durchschaut.

Deshalb erwartet der Zuschauer im letzten Bild wiederzuerkennen, was er zuvor auf dem Vorhang zu sehen bekam. Doch er wird getäuscht und blickt auf eine leere Bühne, nur ein Bett steht in der Mitte. Der Effekt ist grandios und verrät viel über die Inszenierung, bei der alles weniger klar ist, als es scheint.

Hilsdorf hat sich für das Fragment und nicht für die durch Friedrich Cerha instrumentierte komplette dreiaktige Fassung entschieden, an dessen Ende Lulu Opfer von Jack the Ripper wird. Für die letzte Szene holt der Regisseur das Männerpersonal inklusive der Geschwitz noch einmal auf die Bühne, wo Lulu mit Handschellen gefesselt auf dem Bett liegt. Der Maler vollstreckt an ihr mit einem Rasiermesserschnitt die blutige Rache aller Männer.

Zum außerordentlichen Erfolg, die diese Lulu beim Essener Publikum erzielt, trägt freilich auch die ausgefeilte musikalische Umsetzung der komplexen, zwölftönigen Berg-Partitur bei. Generalmusikdirektor Stefan Soltesz gelingt mit seinen bestens vorbereiteten Philharmonikern eine farbige, sehr luzide, mitunter fast leicht wirkende Umsetzung, deren Ausdruckskraft berührt, obwohl die Musik selten scharf und grell wird. Andreas Hermann (Schwarz), Heiko Trinsinger (Dr. Schön), Marie-Helen Joël (Schöns Verlobte), Thomas Piffka (Alwa), Bea Robein (Geschwitz), Almas Svilpa (Athlet) und Ieva Prudnikovaite (Gymnasiast) zeigten gesanglich und auch schauspielerisch eine außergewöhnliche Ensembleleistung.

Julia Bauer ist für Hilsdorfs Sicht auf Lulu die ideale Interpretin: Ihre Sopranstimme wirkt leicht, glockenhell, kann aber auch von durchdringender Intensität sein. Nicht weniger intensiv ist ihre schauspielerische Leistung

Die nächsten Termine: 14., 19., 24. und 26. Februar, 11. März, Kartentelefon: (02 01) 81 22 - 200.

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