Ausstellung im Haus der Geschichte Lob für die Krisenkanzlerin

Bonn · Flüchtlinge und Angela Merkel: Die großen Themen der „Rückblende“ im Haus der Geschichte. 216 Pressefotografen und 59 Karikaturisten sind in der Ausstellung vertreten.

 Der Geist von Günter Schabowski: Die Karikatur von Nel wurde beim „Rückblende“-Wettbewerb mit dem dritten Preis ausgezeichnet.

Der Geist von Günter Schabowski: Die Karikatur von Nel wurde beim „Rückblende“-Wettbewerb mit dem dritten Preis ausgezeichnet.

Foto: Nel

Rückblickend, mit einer Distanz von zehn, fünfzehn Jahren, wird man 2015 als ziemlich monolithisches Jahr bewerten. Ein großes Thema: Flüchtlinge. Und eine allgegenwärtige Krisenkanzlerin: eine verehrte, geliebte, gehasste Angela Merkel, die wie selbstverständlich vom Griechenlandmodus auf die Flüchtlingsproblematik umgeschaltet hat. Kein neues Thema – Tausende sind in den letzten Jahren im Mittelmeer ertrunken, das Problem schien bestens entsorgt in Lampedusa –, aber eine neue Brisanz: Die Flüchtlinge sind mitten in Europa angekommen.

Und die 216 Pressefotografen und 59 Karikaturisten, die im Rahmen des Wettbewerbs „Rückblende 2015“ gezeigt werden (insgesamt wurden 1023 Werke eingereicht), haben mehrheitlich auf das Thementandem des Jahres reagiert: Hier die Menschen, die auf Schlauchbooten und über die Balkanroute Richtung Österreich und Deutschland ziehen, an den Grenzen stranden, im Schatten von Stacheldrahtrollen kampieren; dort die erfahrene Krisenmanagerin Merkel, begehrtes Selfie-Motiv der Flüchtlinge, starke Frau in der G7-Männerriege in Elmau. Nur einer ließ es an Respekt fehlen: DPA-Fotograf Sven Hoppe hielt fest, wie Horst Seehofer eine sichtlich unglückliche Kanzlerin beim CSU-Parteitag abkanzelte. Ein Jahr zuvor hatte er noch des Lobes voll den Charmeur gegeben, während sie breit strahlte.

Entdeckungen wie diese sind in der gestern Abend im Bonner Haus der Geschichte eröffneten „Rückblende“-Ausstellung keine Seltenheit. Einmal mehr zeigen Pressefotografie und Karikatur, wie abrupt sich die Zeiten ändern können. Die hochkarätig besetzte Jury des von der Landesvertretung Rheinland-Pfalz und dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger gemeinsam mit der Bundespressekonferenz und der Plattform Fotofinder ausgelobten „Rückblende“-Wettbewerbs hat vier Fotografie-, drei Karikaturenpreise und zwei Sonderpreise für Fotografie vergeben.

Sean Gallups Bild eines in München angekommenen Flüchtlings mit Kusshand und zerknittertem Merkelporträt (geteilter dritter Preis) und Nels (Ioan Cozacu) Merkel-Karikatur (dritter Preis) unterstreichen die Rolle, die die Bundeskanzlerin in diesem Jahr gespielt hat. Eine ungewohnt unkonzentrierte Angela Merkel ist auf der satirischen Zeichnung zu sehen. Sie liest: „Einreiseregelung? Das trifft ... nach meiner Kenntnis ... ist das sofort, unverzüglich.“ Wir kennen diesen Text aus einem anderen Zusammenhang: SED-Funktionär Günter Schabowski schrieb sich mit diesen gestammelten Worten auf einer Pressekonferenz am 9. November 1989 in die Geschichtsbücher ein – danach war an der deutsch-deutschen Grenze kein Halten mehr. Schabowskis Zettel, auf dem die Eckpunkte dieser weltbewegenden Botschaft notiert waren, ist berühmt. Auf Nels Zeichnung hält die Kanzlerin den Zettel. Schabowskis Original kann man in der Dauerausstellung im Haus der Geschichte bestaunen.

Der erste Preis für Fotografie ging an Christian Mang für sein geradezu idyllisches Nachtbild mit flackernden Lagerfeuern: Flüchtlinge kampieren am Grenzübergang Spielfeld. AFP-Fotograf John MacDougall bekam für sein nicht minder atmosphärisches Bild mit Menschen in Berlin, die sich mit den ermordeten Journalisten des Magazins Charlie Hebdo solidarisieren, den zweiten Preis. Auch sehr künstlerisch: Der zweite geteilte dritte Preis ging an Marc-Steffen Unger für eine surreal anmutende, verwackelte Impression schemenhafter Auschwitz-Besucher vor einem Deportations-Eisenbahnwaggon.

Irgendwie war die Jury bei der Auswahl auf dem Kunsttrip. Es hätte härtere, bessere, deutlichere Dokumente der Zeitgeschichte gegeben, demonstriert die ausgezeichnete Ausstellung. Bei der Vergabe der Karikaturenpreise war man mutiger. Thomas Plassmann (erster Preis) nimmt die deutsche Leitkultur aufs Korn – Teilnehmer eines Integrationskurses lachen sich schlapp über deutsche Tugenden: „Pünktlich wie die Bahn, sauber wie ein Volkswagen, ehrlich wie der DFB.“ Das sitzt. Und Christiane Pfohlmann (zweiter Preis) spießt eine Familienszene 2015 auf: Die Eltern fragen sich „Kroatien oder Mallorca?“, der Sohn in Tarnhosen und Militärkäppi grübelt über andere Ziele nach – „Syrien oder Ostukraine?“. Was es sonst noch gab? Niersbach und „G 36“, „Dügida“ und die Queen in Germany, Kita-Streik und Diesel-Gate. Ein reiches Jahr 2015 – zu besichtigen in Bonn.

Haus der Geschichte, Bonn; bis 5. Juni. Di-Fr 9-19 Uhr, Sa, So 10-18 Uhr. Katalog acht Euro. Eintritt frei.

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