Letzte Hoffnung, endlose Passion: Unkraut vergeht nicht

Kunstverein Bonn zeigt die erste Retrospektive des documenta-Gärtners Lois Weinberger

Bonn. Im aufgeblähten Parcours der letzten documenta gehörte seine Verwandlung des alten Kasseler Bahnhofs in einen subversiven Garten Eden zu den Arbeiten, die im Gedächtnis blieben. Die Dokumentation seines sozio-archäologischen Projekts für eine Müllhalde zwischen Tel Aviv und Jerusalem zählte zu den herausragenden Beiträgen der Bonner "Zeitwenden".

Beide Arbeiten des 1947 in Tirol geborenen und in Wien lebenden Lois Weinberger umreißen die Bandbreite seines Werks - von der Beobachtung des Wildwuchses in der Natur über die akribische Bestandsaufnahme der blühenden oder stacheligen Protagonisten bis zur Analyse der Strukturen, die das eigengesetzliche Wuchern hinterlässt.

"Poetische Recherchen" nennt der künstlerische Quereinsteiger Weinberger seine Arbeiten. Alles begann, noch bevor er sich 40-jährig für die Kunst entschied, mit einer hintergründigen "Bestandsaufnahme" seines Heimatortes Stams. Gartenzwerge und Putten, Blumenkübel, das Holzschild "Einer spinnt immer", aufgeschlitzte, zu Pflanzenbehältern umfunktionierte, mittels Goldfarbe "barockisierte" (Weinberger) Traktorreifen listete er auf.

Mit dieser abstrusen, teilweise auch sehr ironischen Enzyklopädie startet chronologisch die erste Gesamtschau Weinbergers in Deutschland, die der Kunstverein Bonn zusammen mit Ausstellungsinstituten in Dublin und Innsbruck ausrichtet. Nach der gerade zu Ende gegangenen, faszinierenden Retrospektive der Fotokünstlerin Hannah Villiger ist die Werkschau von Weinberger ein erneuter Beweis für die beeindruckende Arbeit, die der Kunstverein (unterfinanziert und für die Mitarbeiter immer am Rand der Selbstausbeutung) ohne groß zu murren für Bonn leistet.

Weinbergers "poetische Recherchen", das sind Planzeichnungen, schnell hingeschriebene Kolumnen von Begriffen, Fotos, Fundstücke, Entwürfe, in der Regel nie realisierte Wettbewerbsarbeiten.

Das meiste blieb im Planungsstadium, im Konzeptuellen stecken. Und das sei auch gut so, meint Weinberger. Denn die Idee zählt für ihn: Es geht um Reservate, in denen sich die Natur (und das Denken) ungestört entfalten können; in Glashäusern, in umzäunten Gehegen. Weinbergers Idee vom Garten - das kann ein Krater im Asphalt sein, der "lebende" Untergrund einer Müllkippe oder der blühende Inhalt von Plastiktüten - ist so umfassend wie das Pflanzenrepertoire, mit dem er arbeitet.

Seine ganze Passion gehörte der Ruderalvegetation, wie die vulgo Unkraut genannte Pflanzenwelt auf Schuttplätzen und am Wegesrand bezeichnet wird. Zwölf Jahre lang erforschte Weinberger das urwüchsige Kraut in einem Gärtchen unweit von Wien. Aus ganz Europa trug er an die 700 mitunter sehr seltene Arten zusammen. Bis ihm das Projekt buchstäblich über den Kopf wuchs.

Heute ist er froh darüber, dass der grüne Albtraum vorbei ist - und dass die in jener Zeit zu einem stattlichen Gartenarchiv auf Dias gewucherte Bestandsaufnahme die Bonner Ausstellung eröffnet, sieht er mit Skepsis. Er hat damit abgeschlossen, folgt nicht mehr den Pflanzen sondern den Spuren der Natur - die sich beispielsweise auch in einer imaginären Topografie Österreichs niederschlagen können: Konzentrische Höhenlinien fügen sich zu strudelartigen Gebilden, Wortkaskaden, die das Phänomen des Rechtspopulisten Haider umspielen.

So politisch ist Weinberger selten, er sieht sich auch nicht als Öko-Aktivist. Und: "Ich bin kein Grüner!", schimpft der Tiroler; zu schlecht sei deren Kulturpolitik. Auch das Etikett "Der Künstler als Gärtner", das ihm nach den ersten Erfolgen angeheftet wurde, behagt ihm nicht.

Viel näher kommt seinem Werk der Begriff der "poetischen Recherche". Sehr gut lässt sich das in einer wahren Hymne an die Natur nachvollziehen, die eine Wandmalerei mit dem Titel "Borkenkäfergang" begleitet. Diesen und anderen auch witzigen Windungen kann im Kunstverein nachgespürt werden.

Kunstverein Bonn, August-Macke-Platz; bis 21. April, Di-So 11-17, Do 11-19 Uhr. Internet: www.bonner-kunstverein.de.

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