Kleines Theater "Krieg und Frieden" nach dem Roman von Leo Tolstoi

BONN · Sie schwanken mehr, als dass sie tanzen auf dem Empfang der Hofdame Anna Pawlowna. Wir schreiben das Jahr 1805: Zu sagen hat sich diese in Konventionen erstarrte Petersburger Adelsgesellschaft kaum noch etwas.

 "Krieg und Frieden" im Kleinen Theater.

"Krieg und Frieden" im Kleinen Theater.

Foto: Kleines Theater

Man agiert wie vor einem imaginären Publikum, feiert sich selbst und schmiedet kleine Intrigen, während fern im Westen ein Franzose sich anschickt, Europa zu erobern. Nur Pierre, in Paris erzogener, unehelicher Sohn des schwerreichen Besuchow und naiver Verehrer Napoleons, passt nicht in diesen geschlossenen Kreis. 1812 wird er im brennenden Moskau versuchen, den französischen Kaiser zu ermorden und als Spion verhaftet.

Regisseur Aydin Isik hat Leo Tolstois monumentales Geschichtspanorama "Krieg und Frieden" mit seinen rund 250 Figuren im Kleinen Theater auf eine dreistündige Bühnenfassung reduziert. Er konzentriert sich auf die individuellen dramatischen Konflikte. Die neun Darsteller verkörpern jeweils mehrere Personen, springen gelegentlich aus ihren Rollen in den Erzählfluss und markieren mit kleinen Gewandveränderungen und gestisch-mimischen Haltungswechseln spielerisch virtuos all die Verlorenen und Verblendeten, denen der Sinn ihres Daseins abhandenkommt.

Ab und zu erhellen Video-Einblendungen die graue Bühne von Rolf Cofflet, ansonsten reichen graue Stühle für Paläste, Landgüter und Feldherrnhügel. Eine blaue Schärpe (Kostüme: Kara Schutte) macht aus Alexander Hanfland den russischen Zaren Alexander, während er als Pierre ständig seine Brille an seinem grauen Hemd putzt. Groß, blond, ein wenig schwerfällig und kurzsichtig, erbt er ohne viel eigenes Zutun den Grafentitel und das Vermögen seines Vaters.

Der verarmte Fürst Kuragin (Rainer Hannemann) versucht vergeblich, das Testament noch zu kassieren und dient Pierre dann seine schöne Tochter Helene an (Ivana Langmajer, die auch als unglückliche Sonja überzeugt), die ihre Reize kühl verteilt. Nach Ruhm brennt sein hochadeliger Freund Andrej und verlässt deshalb seine ihm treu ergebene Gattin Lisa, die später im Kindbett stirbt.

Carmen Betker spielt zutiefst anrührend die verzweifelte junge Frau und mädchenhaft hell die kleine Natascha, die ihr Herz mehrfach verliert und es schließlich Pierre überlässt. Nikolas Knauf ist der nervöse gertenschlanke Sinnsucher Andrej, dem die existenzielle Leere auf den Geist geht. Er stirbt in den Armen der endlich erwachsen gewordenen Natascha und seiner Schwester Marja (Vanessa Frankenbach).

Josef Hofmann spielt den glatzköpfigen alten Fürsten ebenso rabiat wie den verschnarchten Generalfeldmarschall Kutusow. Daniel Sonnleithner brilliert als verlotterter Anatol, bubenhafter Nikolai und Napoleon-Karikatur. Ursula Michelis verströmt als Mutter oder Tante das bezaubernde Flair der alten russischen Welt. Die Inszenierung zeigt mit geringen Mitteln eindrucksvoll das Grauen des Krieges, ohne die Schrecken des Friedens zu verschweigen.

Nächste Vorstellungen vom 9. bis 27. November; Karten: (0228) 36 28 39.

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