Museum Ludwig ordnet Sammlung neu Kreativer Kopfstand in Köln

Köln · Das Museum Ludwig rückt seine Sammlungin ein neues Licht – mit großem Erfolg. Die ständige Sammlung könne nun chronologisch durchwandert werden, sagte Museumsdirektor Yilmaz Dziewior.

 Eine beidseitig bemalte Leinwand von Ernst Ludwig Kirchner (vorn) steht im Raum.

Eine beidseitig bemalte Leinwand von Ernst Ludwig Kirchner (vorn) steht im Raum.

Foto: Thomas Brill

Die Sammlung ist die DNA des Museums Ludwig“, stellt Direktor Yilmaz Dziewior klar – und das Haus auf den Kopf. Besucherfreundlich soll die Neupräsentation sein und gibt den Gästen den einfachsten Leitfaden durchs Labyrinth der modernen Kunst in die Hand: Chronologie. Wobei letztere einen kreativen Kopfstand wagt. Denn ganz oben logieren nun mit der Sammlung Haubrich die ältesten Schätze des Hauses. Treppab hingegen wird's immer aktueller, bis im Souterrain die Zeitgenossen das Fundament legen. Und die Pop Art? Zieht in die Mitte, wo sie im früheren Haubrich-Quartier ein visuelles Reizgewitter entfesselt: In Petersburger Hängung sind die Wände dicht bepflastert, vom Boden, auf dem Duane Hansons „Frau mit Umhängetasche“ steht, bis in lichte Höhen, aus denen James Rosenquists „Joan Crawford“ herablächelt.

Ob Hockneys Sonnenanbeter, Wesselmanns Nackte in „Badewanne Nr. 3“ oder Warhols Doppel-Elvis: Sie alle rücken einander plakativ auf die Pelle. Bekommt diese oft museal aufgebahrte Kunst hier ihre aggressive Kraft zurück, so dürfen die komplexeren Arbeiten von Jasper Johns und Robert Rauschenberg nebenan freier atmen.

Im Obergeschoss wird solche Großzügigkeit etwa Kandinsky und Feininger zuteil, während sich die „Brücke“-Meister effektvoll ballen. Der Clou: Zwei jeweils beidseitig bemalte Leinwände von Kirchner und Pechstein stehen nun frei im Raum und offenbaren, dass beide Maler das gleiche Modell buchten.

Nebenan wohnt der „Blaue Reiter“, und auch die russische Avantgarde darf sich etwa in Natalia Gontscharowas „Stillleben mit Tigerfell“ expressionistisch aufbäumen. Derweil baden Rheinische Progressive wie die Titanen der Neuen Sachlichkeit im Naturlicht. Mit den Pfunden der Fotografie will Dziewior künftig stärker wuchern und sie auch neben Leinwänden und Grafik stellen. Sinnfällig glückt dies etwa, wenn Man Rays „Gräfin Casati“ und Otto Steinerts „Maske“ Picassos „Kopf eines Fauns“ umzingeln und allesamt kunstvoll entgleiste Gesichtszüge zeigen.

Auch Kunst aus Afrika, Asien und Lateinamerika möchte der neue Hausherr besser integrieren. So schafft es die Peruanerin Teresa Burga mit zwei frisch angekauften Werken in jenen amerikanischen Schock- und Krisenraum, den Edward Kienholz' „Tragbares Kriegerdenkmal“ und Andy Warhols „Roter Rassenaufruhr“ dominieren. Große Trümpfe der Picasso-Kollektion sind momentan auf Japan-Tournee. Doch fast bedauert man, dass sie nach ihrer Rückkehr Max Beckmann verdrängen, dessen Gemälde mit denen des Spaniers gerade lebhafte Zwiesprache halten. Die neue Hängung, so Dziewior, war ein Puzzlespiel bei laufendem Betrieb, das die Kuratoren maßgeblich mitbestimmten und die Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig sowie die Stadt mit je 100 000 Euro unterstützen. Gut angelegtes Geld, denn nun wird etwa im ersten Stockwerk begreifbar, wie eng Konzeptkunst, Minimal Art und Fluxus verzahnt sind.

Zur luziden Sinnstiftung kommt inszenatorisches Gespür für Blickachsen und Lichteffekte. Großartig, wie Dalís „Bahnhof von Perpignan“ den Surrealismus-Raum überstrahlt – und sich Max Ernst lieber nach nebenan in eine luxuriöse Einzelzelle verdrückt. Das Treppenhaus dominieren zeitgenössische Großformate von Baselitz, Polke und Immendorff, während Gerhard Richters „Ema“ und „Betty“ etwas im Durchzug stehen. Im Untergeschoss nimmt man Xu Bings seit 17 Jahren erstmals wieder ausgestellte Installation „A Book from the Sky“ als Schlüsselwerk, mit dem sich auch Pencks wandfüllendes Gemälde „Ich in Deutschland (West)“ und „Drunk with God“ von Gilbert & George dechiffrieren lassen. Und der Dialog von Kchos Treibgut-Parabel „La Regata“ mit dem Tanger-Zyklus von Yto Barrada gibt einen Denkanstoß zur Flüchtlingskrise. Die aktuelle Kunst soll etwa alle anderthalb Jahre durchmischt werden, doch generell bleibt diese neue Struktur stabil. Und die bietet ein besser lesbares, attraktiveres Museum, zwischen dessen blank polierten Spannungspolen die Funken sprühen.

Di-So (inkl. Feiertage) 10-18 Uhr, jeden 1. Do bis 22 Uhr. www.museum-ludwig.de

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