Beethovenfest in Bonn Klänge aus der Eisengießerei

Bonn · Besucher erlebten beim Beethovenfest einen berauschenden Abend mit dem Ural Philharmonic Orchestra aus Ekaterinburg mit seinem Chefdirigenten Dmitri Liss. Der Pianist Boris Berezovsky spielt Sergei Rachmaninows 3. Klavierkonzert.

 In Aktion: Dmitri Liss dirigiert das Ural Philharmonic Orchestra.

In Aktion: Dmitri Liss dirigiert das Ural Philharmonic Orchestra.

Foto: Barbara Frommann

Das Schöne am diesjährigen Programm des Beethovenfests ist die Tatsache, dass es in etlichen Konzerten eine Menge zu lernen gibt. Beispielsweise über die russische Musik aus den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, aus einer Zeit, in der Russland den diktierten Weg von der Agrar- in die Industriegesellschaft vollzieht. Die Kommunistische Partei richtet ihr Hauptaugenmerk auf die Schwerindus-trie.

Ein eindringliches tönendes Beispiel für diese Entwicklung hatte das Ural Philharmonic Orchestra bei seinem zweiten Bonner Festival-Abend parat: die gerade mal vierminütige Episode „Sawod“ (Die Eisengießerei) aus dem nie vollendeten Ballett „Stahl“ von Alexander Mossolow. Das Stück und den Komponisten mögen nur ausgewiesene Experten der russischen Musik kennen, aber es lohnt die Entdeckung: eine unerbittliche Fortissimo-Attacke auf die Ohren, eine brutale, anti-emotionale Maschinenmusik, die den Zuhörer in ihren Bann zieht und großes Kino im Kopf produziert.

Man kann sich kaum bessere Interpreten für ein solches Werk vorstellen als die Musiker des Orchesters aus Ekaterinburg mit ihrem Chefdirigenten Dmitri Liss. Bereits vor drei Jahren hatte das Ensemble beim Beethovenfest für Furore gesorgt, jetzt bestätigte es auf schönste Art und Weise seinen Ruf als eines der russischen Spitzenorchester. Das war auch an der 10. Sinfonie des Mossolow-Lehrers Nikolai Mjaskowski zu hören. Das Stück ist mehr sinfonische Dichtung als Sinfonie, erzählt von einem Standbild, das auf bedrohliche Weise lebendig wird. Dmitri Liss brachte das „ohrenbetäubende Getöse“ (Mjaskowski) in Form, machte Strukturen und Farben deutlich und sorgte zudem in all dem Tumult für höchst intime Momente.

Begonnen hatte das in großer Besetzung antretende Orchester mit einer kurzen und sehr kurzweiligen Suite, die Dmitri Schostakowitsch aus seinem Ballett „Das goldene Zeitalter“ gefertigt hat. Darin geht es aparterweise um die Erlebnisse einer sowjetischen Fußballmannschaft im ziemlich dekadenten Westen. Schostakowitsch war – eine schöne Verbindung von Sport und Kultur – ein Fußballfan ohnegleichen, ein glühender Anhänger von Zenit Leningrad (heute St. Petersburg), der quer durch Russland zu den Spielen seines Teams reiste. Die Musik kommt farbig, witzig, sarkastisch daher; Dirigent Liss und seine (Orchester-)Mannschaft beleuchteten die Partitur virtuos von allen Seiten, kurzum: ein schön herausgespielter Treffer.

Nach der Pause wurde es dann rundum rauschhaft: Sergei Rachmaninows 3. Klavierkonzert aus dem Jahre 1909 ist, wie man so sagt, eines der Schlachtrösser des Konzertbetriebs; laut Wikipedia enthält es von allen großen Klavierkonzerten die meisten Noten pro Sekunde. Das wäre schon mal ein dezenter Hinweis auf den technischen Schwierigkeitsgrad. Der Pianist Boris Berezovsky hat mit dem Ural Philharmonic Orchestra und Dmitri Liss alle Klavierkonzerte Rachmaninows eingespielt, beim Bonner Gastspiel vor drei Jahren spielte er das zweite.

Wahrscheinlich wegen einer TV-Aufnahme hatte man diesmal den Flügel in der Beethovenhalle ein wenig unglücklich platziert, der Klang kam nicht unbedingt ideal ins Publikum. Gleichwohl: Berezovsky ist ein Tastenakrobat von enormer Treffsicherheit (mit einer unglaublich starken linken Hand), er bewältigt die Anforderungen der Partitur spielerisch, vermeidet auch im langsamen Satz jede Larmoyanz und lichtet im Verein mit dem opulent auftrumpfenden Orchester auch noch die dicksten Passagen souverän auf. Die Zuhörer in der erschreckend schwach besetzten Beethovenhalle jubelten doppelt laut und wurden mit der Wiederholung der letzten zwei hymnisch-triumphalen Konzertminuten belohnt.

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