"Jetzt sind sie alle jung"

Werner Schroeters Abend für Rainer Werner Fassbinder in den Bad Godesberger Kammerspielen hatte einen Clou: Die Aufführung des "Katzelmachers" mit Akteuren des ursprünglichen Ensembles

  Beim Familientreffen  sollte ursprünglich einer fehlen. Günther Kaufmann (Mitte) kam dennoch, incognito.

Beim Familientreffen sollte ursprünglich einer fehlen. Günther Kaufmann (Mitte) kam dennoch, incognito.

Foto: Beu

Bad Godesberg. Es war auch eine kleine Familienfeier, die der Regisseur Werner Schroeter am Samstagabend auf der Bühne der fast ausverkauften Kammerspiele zu Ehren seines Freundes Rainer Werner Fassbinder inszeniert hatte.

"Das Fest 60" stand auf der kleinen, noch schnell reproduzierten und auf den Sitzen verteilten Fassbinder-Zeichnung, die auch eine Illustration zum "Sacre du printemps" sein könnte. Etwas Orgiastisches hatte das kurze, rauschhaft produktive Leben des Autors, Regisseurs und Filmemachers Fassbinder ja auch, und davon haben seine mehr oder minder nahen Gefährten sehr lebendig und heiter anekdotisch berichtet.

Der Clou des Abends war jedoch die Aufführung von Fassbinders erstem Stück "Katzelmacher", mit dem der damals 22jährige bei der Uraufführung 1968 im kleinen Münchner "Action-Theater" die Szene aufmischte.

Gut anderthalb Tage hat Schroeter - zum Teil mit dem ursprünglichen Ensemble! - an der Wiederbelebung der ersten Bühnenfassung geprobt, deshalb durfte auch die wunderbar sensible Souffleuse Angelika Schmidt auf der Bühne mitspielen.

Dass Günther Kaufmann eigentlich nicht mitspielen sollte ( der GA berichtete), hat Schroeter mit einem genialen Trick umgangen: Der Mann mit dem schwarzen Hut trat vor den Vorhang, suchte jemanden unter den Zuschauern, der spontan die Rolle des griechischen Gastarbeiters Jorgos übernehmen könnte und fand ihn natürlich: Kaufmann inkognito und erst nach dem Stück geoutet.

Man hat sich auf den Text mit seinen schnellen Szenenwechseln konzentriert: zwei Stuhlreihen, direktes Springen in die Rollen, eine knappe Dreiviertelstunde von höchster schauspielerischer Intensität. "Jetzt sind sie alle jung", hatte Daniel Wiemer als jugendliche Verstärkung aus dem Bonner Ensemble vorher auf eine große Tafel gesprüht, und merkwürdigerweise ist es allen gelungen, aus dem Kontrast zwischen ihrer heutigen Lebenserfahrung und ihren jungen Rollen witzige Funken sprühen zu lassen.

Harry Baer, Rudolf Waldemar Brem, Hans Hirschmüller, Doris Mattes, Katrin Schaake und Elga Sorbas aus der ehemaligen Fassbinder-Family waren nach mehr als 35 Jahren doch wieder diese schrecklich nette bayerische Dorfgemeinschaft.

Gerhild Didusch, vor zwanzig Jahren in Schroeters "Katzelmacher"-Inszenierung schon die Unternehmerin Elisabeth, übernahm die Rolle glänzend, ein Sonderlob gebührt Manuela Alphons, die kurzfristig noch eingesprungen war. Jay Gottlieb ist am Piano ohnehin unschlagbar und Ingrid Caven mit ihrer unverwechselbaren Stimme und ihrem irren Temperament ein leibhaftiges Ereignis.

Peer Rabens Kompositionen nach Fassbinders Texten ("Alles aus Leder", "Freitag im Hotel") hat sie zu eigenen Mini-Dramen gemacht und auch die folgende Diskussion im privaten Plauderton dominiert. Aus Fassbinders düsterem Film "In einem Jahr mit 13 Monden" wurden die blutige Schlachthausszene und die trostlos sanfte Märchenerzählung eingespielt.

Zur Sprache kam unter Schroeters aufgeräumter Leitung - eine riesige Kerze hat er als Opfer gegen falsche Vibrationen vorsorglich ironisch aufgestellt - Fassbinders wildes Leben und maßloses Lieben.

Für die wissenschaftlich analytische Nüchternheit sorgte der Giessener Philosophie-Professor Martin Seel. Alle Seelen noch mal gewärmt haben nach zwei spannenden Stunden Ingrid Cavens "Capri-Fischer". Begeisterter Beifall!

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