Japanische Anime-Stars in der Bundeskunsthalle

So etwas war noch nie", meint fast entschuldigend Intendant Robert Fleck, die Bundeskunsthalle schlage ein neues Kapitel auf. Das ist bunt, schrill, laut, multimedial, brutal und sentimental, kitschig und atemberaubend visionär.

Bonn. So etwas war noch nie", meint fast entschuldigend Intendant Robert Fleck, die Bundeskunsthalle schlage ein neues Kapitel auf. Das ist bunt, schrill, laut, multimedial, brutal und sentimental, kitschig und atemberaubend visionär.

Oder in Flecks Worten: "Wir begegnen zeitgenössischen Bildsprachen und Bildwelten", der Einfluss der Manga und Anime sei vergleichbar mit dem der Pop-Art in den 60er Jahren. Wer kennt Astro-Boy und Prinzessin Mononoke, Robotto Känuburu oder Akira, Robotekku oder Captain Harlock? In Japan jedes Kind.

Und wer einmal in Japan gewesen ist, hat gesehen, dass die Comiczeichnungen, die Mangas, und die Animationsfilme, Anime, den gesamten Alltag durchdringen - auch den der Erwachsenen. In Deutschland sind Anime und Mangas Teile einer wachsenden Jugendkultur, deren "Cosplayer" sich in ihren fantastischen Kostümen etwa an diesem Wochenende bei der "Animagic" in der Beethovenhalle treffen, zur größten Anime- und Manga-Convention Deutschlands.

Oliver Sieber hat für die Schau "Cosplayer" aus der ganzen Welt fotografiert. Mit einem großen Schritt geht die Bundeskunsthalle mit "Anime! High Art - Pop Culture" auf diese Szene, auf Kinder, Jugendliche und erwachsene Comic-Fans zu. Das Experiment ist geglückt, wobei die klug aufgebaute Ausstellung an einem Punkt anfängt, an dem jeder Anime japanischer Provenienz konsumiert hat, ohne sich dessen vielleicht bewusst zu sein.

In den 70er Jahren kamen hierzulande "Wickie und die starken Männer", "Heidi" und "Die Biene Maja" ins Fernsehen. Allesamt aus Japan, was man eigentlich nur Heidi anmerkte, die keine blonden Zöpfe und blaue Augen, sondern große schwarze Augen hatte und die für japanische Mädchen typische schwarze Kurzhaarfrisur.

Die Schweizer Berge im Hintergrund, wirkten irgendwie fernöstlich, es hätte niemanden gewundert, wenn sich hinter Heidis Kühen irgendwann der Fudschijama ins Bild geschoben hätte. Von diesen bekannten, noch in ruckelnden Sequenzen laufenden Anime zu den fantastischen Szenarien voller raffinierter Architekturen und filmisch akrobatischer Szenen ist ein weiter Weg.

Man geht ihn in der Bundeskunsthalle mit Genuss. Er führt vorbei an den "Shojo Anime", die sich an junge Mädchen richten, deren Heldinnen mit glitzernden Sternchenaugen direkt in eine magische Welt einladen, in der Manga-Schönheiten mit reichlich Girlpower gegen finstere Mächte kämpfen. Allen Anime-Genres gemeinsam sind die großen Kulleraugen und ein melancholischer Grundton.

Speziell an Jungen richten sich die "Shonen Anime": Teamgeist, Ausdauer und Mut, sich gegen Monster zu stellen, prägen diese Filme ebenso wie ein rustikaler Humor. Auch Erwachsene bekommen ihre Sparte: Die heißt "Seinen Anime", verknüpft Fantasy mit Mystery und Science-Fiction, kann Elemente aus dem Horror- und Gewaltgenre haben.

Wird es erotisch oder gar pornografisch, nennt man die Anime "Etchi" in der milden, "Hentai" in der harten Fassung. Erstere kredenzt die Bundeskunsthalle im roten Flokati-Separee - "Über 18 Jahre". Süß anzuschauende Manga-Mädchen zeigen ihre Reize oder präsentieren sich in braven Bondage-Posen. Anime, das merkt man nicht erst jetzt, richten sich nicht nur an Kinder.

Besonders das gelungene letzte Kapitel der Schau, "2011", macht das deutlich. In Erinnerung an die Katastrophe von Fukushima werden Beispiele gezeigt, wie durchaus ernste Zeichentrickfilme mit apokalyptischen Visionen und Szenarien voller Naturkatastrophen die Urängste der Japaner formulierten und die schreckliche Kette von Unglücken in diesem Jahr antizipierten.

Die dunkle Seite der Anime-Kunst geht unter die Haut. Ein Film wie "Barfuß durch Hiroshima", die Gewalt- und Weltuntergangsfantasien der futuristischen Rocker in "Akira" oder "Ponyo", ein dramatischer Film, der die Tsunami-Katastrophe vorwegnimmt, sind moderne Apokalypsen, die mit einer umwerfenden Bilderwucht inszeniert werden.

Man sieht in Bonn ein fast abgeschlossenes Kapitel der Anime-Kunst. Viele gezeichnete Hintergründe und originale sogenannte Cels, auf Folie gemalte Figuren, die bewegt, verändert und abgefilmt werden (zwölf Bilder pro Sekunde), sind zu sehen. Das ist die analoge Kunst, die gerade nach und nach der Digitalisierung weicht.

Und der nächste Schritt begegnet dem Besucher am Ausgang: "Final Fantasy VII: Advent Children", ein Film, der die Flächigkeit des Anime verlässt, Computeranimation, 3 D. Der Film floppte in Japan: Zu wenig Emotion, ein Bruch der gewohnten Ästhetik. Dem Besucher bleibt es unbenommen, kehrt zu machen und zurück zu den Anime zu gehen.

Bundeskunsthalle, Friedeich-Ebert-Allee 4; bis 8. Januar 2012. Di, Mi 10-21 Uhr, Do-So 10-19 Uhr.

Film- und Rahmenprogramm in der Bundeskunsthalle

Die Ausstellung verfügt über zwei Kinos, die parallel für Kinder sowie Jugendliche und Erwachsene nonstop attraktive Anime-Filme zeigen. Außerdem bietet die Bundeskunsthalle Themenführungen an. Am 8. September geht es etwa um "Let's talk about Sex", über Sexualität und Geschlechterrollen im Anime und in Japan.

In der Lounge der Ausstellung, die zu einer Manga-Bibliothek mit Nintendo-Konsolen und Wii's umfunktioniert wurde, kann man an mehreren Terminen mit Anime Japanisch lernen - zumindest schnuppern. Der Bonner Japanologe Reinhard Zöllner und Sigrid Limprecht, Leiterin der Bonner Kinemathek, sprechen am 28. September über Akira Kurosawas Träume.

David Eisermann moderiert. Das Rahmenprogramm steht unter www.bundeskunsthalle.de. Zur Ausstellung, eine erweiterte Übernahme aus dem Filmmuseum Frankfurt, ist bei Henschel ein Buch erschienen (26,90 Euro).

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort