Inszenierung von Marina Carrs "In Marmor" in Bad Godesberger Kammerspielen

Es gibt viele Ein- und Ausgänge auf Manfred Blößers Bühne, sie erlauben theatralische Auftritte und Abgänge. Doch eines finden die Figuren in Marina Carrs Stück "In Marmor" nicht: Auswege aus ihrem Leben.

 "Ich will Marmor, Marmor, Marmor": Birte Schrein und Falilou Seck.

"Ich will Marmor, Marmor, Marmor": Birte Schrein und Falilou Seck.

Foto: Thilo Beu

Bad Godesberg. Es gibt viele Ein- und Ausgänge auf Manfred Blößers Bühne, sie erlauben theatralische Auftritte und Abgänge. Doch eines finden die Figuren in Marina Carrs Stück "In Marmor" nicht: Auswege aus ihrem Leben.

Am Schluss steigen Art (Yorck Dippe) und Catherine (Birte Schrein) aus ihren Ehen aus, doch ob ihre Existenz-Krise damit ein Ende hat, ist mehr als zweifelhaft. Türen, zwei Ehepaare Mitte 40, erotische Querverbindungen - von solchen Elementen lebt das Boulevard-Theater. Die 1964 in Dublin geborene Autorin Marina Carr spielt, wie ihre Kollegin Yasmina Reza, mit den Motiven, Versatzstücken und der Komik des Boulevards.

Aber sie will auch Tiefgang, Verstörung, Beziehungen in Agonie. Und Hoffnung, die aus Träumen entsteht. Klaus Weise hat bereits Carrs "Portia Coughlan" und "Ariel" inszeniert. In "Ariel", 2004 in Bonn zu sehen, ging es der Autorin darum, die Wucht antiker Theatertragödien mit gegenwärtigen Reflexionen über Politik, Religion und Familie zu verknüpfen.

"In Marmor" ist ganz gegenwärtig. Das Stück verdankt seinen Konflikt einem Kunstgriff. Art und Catherine träumen, jeder für sich und in derselben Nacht, dass sie gemeinsam Sex haben, märchenhaft schönen Sex in einem Raum ganz aus Marmor. Das Problem: Art ist mit Anne (Christine Schönfeld) verheiratet und Catherine mit Ben (Falilou Seck). Art und Ben sind Freunde, Art erzählt Ben beim Brandy von seinem Traum. Das Geständnis funktioniert wie ein Katalysator: Konflikte brechen aus, unterschiedliche Lebensauffassungen prallen aufeinander.

Die einen wollen aus dem Alltag flüchten, die anderen haben sich im Immergleichen eingerichtet; ein paar Gläser Rotwein am Abend erleichtern das als endlich empfundene Leben. Catherine, die sich sehr sterblich fühlt, will mehr als den guten Ehemann und die lieben Kinder: "Ich will sensationell. Ich will Marmor, Marmor, Marmor." Dafür ist sie bereit, alles hinter sich zu lassen: "Alles Neue braucht Zerstörung."

Klaus Weises dezent den Schauspielern zuarbeitende Regie sorgt für eine tänzelnde Leichtigkeit, im Ton und in der Bewegung, in deren Kontext die Gefühls-Eruptionen ihre explosive Kraft so richtig schön entfalten können. Birte Schrein ist als Catherine anfangs lakonisch und spitz, sie spricht auch schöne Sehnsuchts-Poesie.

Doch dann kotzt sie ihrem Mann ihre Verzweiflung und den Abscheu vor dem Ehe-Status-quo regelrecht vor die Füße: "Ich fühle mich wie eine Zwiebel, gehäutet bis zur Mitte, und da ist nichts mehr." Für diese großen Emotionen, die Birte Schrein immer wieder mobilisiert, müsste man eine eigene Maßeinheit erfinden: das "Birtometer" zum Beispiel. Auch diesmal schafft sie locker die maximale Punktzahl. Die Figuren bewohnen scheinbar eine gemeinsame Welt, in der sich ihre Wege kreuzen, manchmal verliert man den Überblick, wer zu wem gehört.

Sind die Menschen etwa austauschbar? Ist am Ende jeder auf sich allein gestellt? Das Ensemble bewegt sich virtuos zwischen Wirklichkeit und Traumwelt. Falilou Secks Ben gibt den in sich ruhenden Anwalt von Alltag, Kompromiss und Mittelmaß - bis er nur noch Ruinen um sich herum wahrnimmt und seinen Gefühlen freien Lauf lässt.

Yorck Dippe pflegt als Art erst einen gedankenspielerischen Umgang mit dem Inhalt seiner Träume. Doch allmählich ergreifen sie Besitz von dem Mann, er wehrt sich, schlägt gleichsam um sich und kann der Versuchung doch nicht widerstehen, ein anderer zu sein und dem "Eiszeitalter der Herzen" zu entfliehen.

Christine Schönfeld hat als Anne die Hosen an, sie versucht ihrem Mann per Feldwebelton den Ausstieg aus der Ehewirtschaft zu verbieten. Sie meldet Besitzansprüche an, die sie nicht durchsetzen kann. Auch sie steht zum Schluss mit leeren Händen da, wie Ben ohne Illusionen und Hoffnung. Art und Catherine sind erfüllt von Hoffnung. Oder sollte man sagen: erfüllt von Illusionen?

Die nächsten Aufführungen: 26. März, 1., 18. und 23. April. Karten unter anderem in den Zweigstellen des General-Anzeigers erhältlich.

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