Kunst!Palast Bonn Iiro Rantala und Nils Landgren mit Spitzengästen beim Scandinavian Jazzfestival

Bonn · Ein Konzert das mit dem "Kyrie" aus Bachs h-Moll-Messe beginnt und gegen Ende alle mit Funk-Rhythmen von den Stühlen reißt, erlebt man nicht alle Tage. Zumal wenn es sich um ein vermeintlich kühles skandinavisches Jazzfestival handelt.

 Der Mann mit dem roten Horn: Nils Landgren im Zelt.

Der Mann mit dem roten Horn: Nils Landgren im Zelt.

Foto: Müller

Für die 700 Besucher, die am Sonntag für rund fünf Stunden den Biergarten-Aufenthalt gegen das Kunst!Palast-Zelt in der Gronau tauschten, war es ein unvergessliches, denkwürdiges Konzert auf höchstem Niveau - und für den schwedischen Posaunisten Nils Landgren ein triumphales Heimspiel.

Er hat oft in Bonn gespielt - und sein Publikum kann nicht genug kriegen von Landgrens heller Stimme, roter Posaune und umwerfender Musikalität. Bevor der Publikumsliebling mit seinen drei hochkarätigen Gästen die Bühne bestieg, übernahm der finnische Pianist Iiro Rantala virtuos und mit pädagogischem Feingefühl die Einführungs- und Aufwärmphase.

Rantala ist ein ungestümes, unberechenbares, blondmähniges Bühnentier am Piano und ein charmanter Entertainer, der gleich mit dem "ersten Jazzmusiker" Johann Sebastian Bach einstieg. Der habe wunderbar variiert und improvisiert, in Leipziger Cafés gespielt - sei also ein Jazzer. Und einer, der in Rantalas "History of Jazz" unter anderem auch mit der im Zelt gespielten "Aria", der ersten "Goldberg Variation" und der nahtlos angehängten "Goldberg Improvisation" seinen Platz hat.

Rantala ließ viele seiner Helden in furiosen Improvisationen aufmarschieren, erinnerte an Errol Garner und George Gershwin, dessen "Liza" er als rasanten Ragtime abfeuerte, thematisierte mit der gefühligen Ballade "Americans in Paris", wie Stan Getz, Dexter Gordon und andere amerikanische Jazzmusiker nach dem Weltkrieg eine neue Heimat in Europa fanden.

Auch Rantalas "Lost heroes", so der Titel seiner CD von 2011, kamen im Zelt zu Ehren, allen voran der vor ziemlich genau fünf Jahren viel zu früh und tragisch ums Leben gekommene Esbjörn Svensson, Lichtgestalt am Jazzpianisten-Himmel und Kopf der Formation E.S.T. "Tears for Esbjörn" heißt Rantalas so düster melancholische wie hell leuchtende Hommage. Dass Rantala zu einem sinfonischen E.S.T.-Projekt nach Stockholm eingeladen wurde, sagt viel über das Renommee des Finnen aus, der Bonn mit engagiertem und fantasievollem Spiel begeisterte. Rantala war im Mai beim E.S.T.-Projekt dabei, der deutsche Pianist Michael Wollny im Juli.

Und auch dieser Ausnahmemusiker schlüpfte in das Bonner Rasen-Zelt, zusammen mit seinem Bass-Partner Tim Lefebvre und dem deutschen Star-Drummer Wolfgang Haffner: Landgren hätte für seine Tour de Force keine besseren finden können. Wie Landgren seinen präzisen, schlanken Ton in den Raum stellt, wie er pumpt und haucht, sein rotes Yamaha-Horn schluchzen und wiehern, wie ein Alphorn oder Didgeridoo röhren, gnadenlos attackieren und lasziv umschmeicheln lässt - das alles kommt umso besser, wenn auch die Partner auf diesem Niveau mithalten können.

Es war ein echtes Fest im Zelt. Mit Leon Russells "This masquerade", einem entfesselt spielenden Wollny, Lefebvres coolen Bassläufen und einem sehr gut gelaunten Haffner legten Landgren & Co. los. Sie lieferten mit Haffners faszinierender Komposition "Silent Way" etwas fürs Herz, packten ihr Publikum mit Eden Ahbez' durch Nat King Cole berühmt gewordenes One-Hit-Wonder "Nature Boy" in Zuckerwatte: Wollny, der den Abend über unermüdlich zwischen Piano und Fender Rhodes unterwegs war, zupfte diesmal zum Auftakt Klaviersaiten, Haffner behandelte seine Trommeln wie Bongos sanft mit der Hand, Landgren steigerte sich in einen atemlosen Posaunenrausch hinein. Ein erster Höhepunkt, dem die schönste Coverversion von Stings "Fragile" folgte mit Landgren und Wollny im Duo - die Kollegen hatte Landgren "zur Atmungspause" hinter die Bühne geschickt.

Dann brannte die Luft: Mit Herbie Hancocks funkigem "Sunlight", mit seinen "Stars in your Eyes" und "Get out of my life woman" rockten die Vier das Zelt. Nicht ohne zuvor zwei anwesenden Promis, dem JazzBaltica-Leiter Rainer Haarmann und Siggi Loch, Chef des Jazz-Labels ACT, gedankt zu haben: Wollnys, Haffners und Landgrens Karrieren liefen über diese Herren. Edle Geste. Der Rest war Party. Jazz im Zelt? Experiment gelungen!

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