lit.Cologne-Interview "Ich habe keine andere Wahl"

Köln · Mit "Gomorrha" schrieb Roberto Saviano einen schonungslosen Report über die Mafia und muss seither um sein Leben bangen. Vor der lit.Cologne-Lesung am Montagabend sprach er darüber. Piero Salabè übersetzte.

 Er bereut manchmal, dass er den Kampf gegen die Mafia aufgenommen hat: Roberto Saviano.

Er bereut manchmal, dass er den Kampf gegen die Mafia aufgenommen hat: Roberto Saviano.

Foto: Thomas Brill

Haben Sie Ihren Entschluss, über die Mafia zu schreiben, schon bereut?
Roberto Saviano: Sehr oft, und wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich es vielleicht nicht getan.

Wie weit ist Ihr Alltag momentan von Normalität entfernt?
Saviano: Mein Leben ist einerseits von Einsamkeit, Isolation geprägt, andererseits habe ich Kontakt mit vielen Menschen, denn jede meiner Bewegungen muss drei Tage vorher abgestimmt werden.

Gibt es einen Punkt, an dem Sie aufhören, über die Mafia zu schreiben?
Saviano: Wo ich jetzt angelangt bin, gibt es nichts, was mich zum Aufhören bringen könnte.Nicht weil ich mutig oder gar heldenhaft wäre, sondern weil ich keine andere Wahl habe.

Kann das Übel der Mafia je ausgerottet werden?
Saviano: Ich glaube, dass die Mafia sehr eingeschränkt werden kann, aber das müsste international geschehen. In Deutschland, Frankreich, England, Skandinavien gibt es eher mittelalterliche Mafia-Gesetze, Es wird lediglich das Sichtbare bekämpft, etwa der Drogenhandel, aber eben nicht die verborgenen Geldflüsse.

Auch das Blutbad von Duisburg hat nichts Entscheidendes geändert?
Saviano: Ich hatte mir mehr erhofft. Denn wenn die Mafia irgendwo tötet, muss sie einen Ort als den ihrigen wahrnehmen. Das war hier offenbar der Fall.

Sie schreiben in Ihrem aktuellen Buch "Der Kampf geht weiter", dass Mafia-Jäger Falcone erst nach seinem Tod ernst genommen und vorher oft verleumdet wurde. Ist Ihnen Ähnliches passiert?
Saviano: Wer immer sich mit diesen Mächten anlegt, kommt nicht ungeschoren davon, auch ich war Anfeindungen aus unterschiedlichsten Ecken ausgesetzt, und der psychologische Druck ist enorm.Es gibt diese gemütliche Haltung, zu glauben, dass derjenige, der sich gegen die Mafia engagiert, ja auch seinen Profit hat.

Sie schreiben sehr exakt über die Müll-Mafia, das könnte man auch als Gebrauchsweisung zu deren Bekämpfung lesen. Geschieht das?
Saviano: Es gab eher eine große Polemik, weil ich gezeigt habe, dass eben nicht nur die angeblich chaotischen Süditalinier an der Vergiftung ihrer schönen Landschaft schuld sind, sondern dass die Camorra den Müll des Nordens dort zu Dumpingspreisen illegal entsorgt.

Welche Rolle spielt die Religion für das System Mafia?
Saviano: Die Kultur der Mafia nimmt gern Teile des Wertesystems der katholischen Kirche auf, etwa den Familiensinn, die Opferbereitschaft. Aber gerade heute jährt sich der Todestag von Don Peppe Diana, eines Pfarrers, der ermordet wurde, weil er klar machte, dass die Mafia nichts mit Christlichkeit zu tun hat.

Die Mafia ist bei uns auch Mythos in Filmen und Büchern, aber bei Ihnen habe ich zum ersten Mal gelesen, dass die Bosse aus Angst oft jahrelang in Bunkern leben...
Saviano: Die Mafiosi sind die letzten Vertreter eines calvinistischen Kapitalismus. Wenn sie jung sind, gibt es vielleicht noch einen gewissen Luxus mit großen Autos und Frauen, doch je mächtiger sie werden, um so mehr Verzicht üben sie für ihre Mission, haben etwa kaum noch Kontakt zu ihren Kindern. Es gab einen Paten, der selbst wegen einer nötigen Augenoperation nicht seinen Bunker verließ und dann erblindete.

Es gibt einen Hoffnungsschimmer in Ihrem Buch, wenn eine Behindertengruppe sich trotz massiver Einschüchterung nicht aus einem ehemaligen Haus von Mafia-Bossen vertreiben lässt.
Saviano: Ja, das ist gewissermaßen die Moral des Buchs, dass individuelle Taten durchaus etwas ändern können.

Glauben Sie, dass Sie je ein Buch schreiben werden, das nichts mit diesen blutigen Themen zu tun hat?
Saviano: Ich habe mich das oft gefragt, und ehrlich gesagt mir ist es nicht gelungen, mich ganz vom Thema des organisierten Verbrechens zu lösen. Das ist einfach eine offene Wunde.

Buchtipp: Roberto Savianos "Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra" ist als Taschenbuch erhältlich, dtv, 368 S., 9,90 Euro.

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