Hommage an die Schönheit der Natur

Das BonnerKunstmuseum erinnert an den 100. Geburtstag des Fotografen und Filmproduzenten Alfred Ehrhardt und dokumentiert seine Beziehungen zum Bauhaus und zur Neuen Sachlichkeit

  Alfred Ehrhardt: "Trophon geversianus - Magellanstraße" aus der 1941 veröffentlichten Serie der Muscheln und Schnecken.

Alfred Ehrhardt: "Trophon geversianus - Magellanstraße" aus der 1941 veröffentlichten Serie der Muscheln und Schnecken.

Foto: Katalog

Bonn. Wattwanderungen dienen gemeinhin der kontemplativen Entspannung des Läufers, in den Fotos von Alfred Ehrhardt (1901-1984) jedoch entwickelt das Watt ein geradezu aufwühlendes, mitunter bedrohliches Eigenleben. Der Schlick mutiert via Kamera zum Kosmos bizarrer Abdrücke und Formationen, die das Auge fesseln, Lichtreflexe erwecken die tote Materie. Ein Feld von Assoziationen öffnet sich, man meint urtümliche Reptilien oder Pflanzen zu sehen. Ehrhardt arbeitete ohne Tricks und fototechnische Effekte, er guckte nur genau hin, widmete dem Watt Jahre seines Lebens.

Ehrhardt, ein Vertreter der Neuen Sachlichkeit, zudem mit Bauhaus-Erfahrung ausgestattet, wurde trotz der rund 10 000 Fotos, die er seit den 30er Jahren machte, trotz der Bildbände und Ausstellungen, die ihn der Öffentlichkeit näher brachten, nach dem Krieg, zumindest als Fotograf, nahezu vergessen. Man kannte seine Gemälde und vor allem die vielen Naturfilme. Der Fotograf Ehrhardt aber wurde erst in den 80er Jahren wiederentdeckt - durch das Galeristen- und Sammlerpaar Ann und Jürgen Wilde.

Sie organisierten nicht nur die erste Ausstellung Ehrhardts nach dem Krieg, ihr Engagement und beträchtliche Bestände an Vintage-Prints (Originalabzüge) stehen auch hinter der Schau, die am Mittwoch im Kunstmuseum eröffnet wurde. Hier zeigt sich, wie Institution und Sammler Schritt für Schritt aufeinander zugehen - das Ziel ist bekanntlich, die international gefragten Schätze der Wildes in einer Foto-Stiftung in Bonn heimisch zu machen. Am politischen Willen scheint es nicht zu fehlen, allein das Geld. . .

Nach Ausstellungen der Fotografen Albert Renger-Patzsch und Karl Blossfeldt - mit beiden hat auch Ehrhardt sich intensiv auseinandergesetzt - zeigt das Museum jetzt eine weitere wichtige Position der deutschen Fotografie. Die Schau zum 100. von Ehrhardt ist eine Koproduktion zwischen der Kunsthalle Bremen und Bonn.

In Bremen war eine Retrospektive inklusive Malerei und Industriefotografie zu sehen, in Bonn konzentriert man sich auf zentrale Zyklen des Fotografen - "Das Watt", "Kurische Nehrung", "Kristalle", "Muscheln", "Island" und "Mikrofotografie" -, zeigt außerdem eine Reihe von Experimentalfilmen und Dokumentationen.

Zum Watt wie zur Fotografie, die er als Autodidakt betrieb, kam Ehrhardt eher durch Zufall. Der studierte Organist und Chorleiter hatte sich Mitte der 20er Jahre der fortschrittlichen Kunstpädagogik zugewandt, ließ sich beim Bauhaus in Dessau fortbilden, studierte bei Albers, Schlemmer und Kandinsky, avancierte zur renommierten Landeskunstschule Hamburg. 1933, nach der Machtergreifung der Nazis, kam für ihn wie für viele Kollegen das Aus: Ehrhardt erhielt als "Kulturbolschewist" Berufsverbot, durfte nicht mehr als Pädagoge arbeiten.

Er zog sich zurück, besann sich in Cuxhaven auf seinen ersten Beruf: Organist. Und wanderte in seiner Freizeit durchs Watt. Ehrhardt hatte ein Auge für die abstrakten Formationen der Natur, die gar nicht so weit von den Textur-Strukturübungen der Bauhäusler waren, sich auch mit der abstrakten Malerei Ehrhardts trafen.

Mit der Fotokamera knüpfte er dort an, wo er als Maler erzwungenermaßen aufgehört hatte. 1936 wanderte seine Ausstellung "Das Watt" durch Deutschland, die hervorragenden Originalabzüge von damals befinden sich übrigens im Besitz von Ann und Jürgen Wilde und sind in Bonn zu sehen.

Es folgte die Serie "Kurische Nehrung" - mit Bildern, die der Landschaft einerseits eine fast ornamental überhöhte Qualität abgewinnen, andererseits die Materialität der Natur buchstäblich ins rechte Licht rücken. Die Verschränkung von Neuer Sachlichkeit und einer verhaltenen Atmosphäre, die Suche nach einem "inneren Ausdruck" unterscheidet Ehrhardt etwa von dem strengeren Dokumentaristen Renger-Patzsch.

Beachtlich erscheint Ehrhardts Eigenständigkeit, zumal vor dem politischen Hintergrund der Jahre 1933 bis 1945. Er hat sich zwar der nordischen Landschaft gewidmet, zelebriert auch die Natur, doch NS-Bildästhetik ist bei ihm nicht zu finden. Freilich auch kein Funken Kritik. Er war der klassische Mitläufer, ging Kompromisse ein: Zwei Propagandafilme drehte er für Goebbels'' Kulturfilmzentrale, einen über Böhmen und Mähren, einen über das annektierte Flandern, beide versah er mit markigen, linientreuen Kommentaren.

Ehrhardts Fotos sprechen eine andere Sprache: Hier wird der Formenschatz der Natur in seiner ganzen Faszination und Schönheit ausgebreitet, das Alphabet der überzeitlichen elementaren Urkräfte aufgesagt, die Schöpfung als ein großes Ganzes aufgefasst, in der der Mensch eben nur ein Baustein ist.

Kunstmuseum, Friedrich-Ebert-Allee 2; bis 4. November.
Di-So 10-18, Mi bis 21 Uhr.
Katalog (Hatje Cantz) 45 Mark

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