NS-Raubkunst Hitlers Chefeinkäufer

Bonn · Hildebrand Gurlitt war einer der einflussreichsten Kunsthändler im „Dritten Reich“. Um ihn, seine 2012 wiederentdeckte Sammlung und die Kulturpolitik der Nazis ranken sich Ausstellungen in der Bundeskunsthalle in Bonn und im Kunstmuseum Bern.

Der Sommer 1940: Europa steht in Flammen, Hitlers Krieg wütet an allen Fronten. Die Situation im besetzten Paris sieht etwas anders aus. Statt Bomben und Granaten gibt es hier konkurrierende Expertengruppen aus dem Reich auf der Suche nach Kulturgütern. Es ist die Stunde der Glücksritter und Kunsträuber, die im Windschatten der deutschen Truppen und begünstigt durch kollaborierende französische Behörden über Europas Kulturmetropole herfallen.

Ein bizarres Tableau: So betrieb etwa das Deutsche Institut, die Kulturabteilung der Deutschen Botschaft, systematisch Kunstraub in französischen Sammlungen, während unter der Regie von Karl Haberstock im Auftrag Hitlers der so genannte Sonderauftrag Linz auch in Paris tätig war, um Werke für das geplante „Führermuseum“ zu akquirieren. Hermann Göring persönlich und seine Experten zogen waggonweise Kunst aus Paris ab – für Görings Privatmuseum Carinhall. Hitler, der ja für sein „Führermuseum“ eigene Interessen verfolgte, ärgerte sich wiederholt über seinen raffgierigen Luftwaffenchef, der sich häufig selbstbewusst über den „Führervorbehalt“ hinwegsetzte.

Der „Sonderauftrag Künsberg“ hatte es ebenso auf Kulturgut abgesehen wie der „Kunstschutz“ der deutschen Wehrmacht, der insbesondere auf Sammlungen jüdischer Mitbürger scharf war. Aktiv war auch das Deutsche Devisenschutzkommando, das unter anderem an Deportationen mitwirkte, daneben auf Schmuck und Gold aus war. Der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ unterhielt in Paris seine Dienststelle Westen und organisierte im Museum Jeu de Paume Ausstellungen mit „herrenlosem jüdischen Besitz“, ein Euphemismus für Raubkunst.

Gurlitt kauft in Paris Kunst für das „Führermuseum“

Der Hamburger Kunsthändler Hildebrand Gurlitt kommt erst 1941 nach Paris – vorher war er mit der „Verwertungsaktion entarteter Kunst“ im Reich und in der Schweiz beschäftigt. 1943 wird er Chefeinkäufer für das „Führermuseum“ – die Alliierten bezeichneten ihn als „Chief Dealer“. Gurlitt kaufte auch für deutsche Museen, etwa das Kölner Wallraf-Richartz-Museum und das Römisch-Germanische-Museum, auf dem französischen Kunstmarkt ein. Wie die Preise zustande kamen, lässt sich heute nur noch in Einzelfällen klar differenzieren.

In Frankreich waren etliche jüdische Emigranten gestrandet, finanziell ausgeblutet durch die sogenannte Reichsfluchtsteuer, die „Judenvermögensabgabe“ und weitere Sonderzahlungen, die sie in Deutschland hatten zahlen müssen. Wollten sie etwa vom besetzten Frankreich in die USA weiterziehen, mussten sie ihre letzte Habe verkaufen. Oft unter Wert. Der äußerst günstige Umtauschkurs, den die Besatzungsmacht festgesetzt hatte, begünstigte die Profiteure aus dem Reich. Kunsthändler Gurlitt war einer davon, wurde in den 1940er Jahre zu einem vermögenden Mann.

Zweiteilige Ausstellung

Um ihn und das Kapitel Kunsthandel im „Dritten Reich“ rankt sich eine zweiteilige Ausstellung, die kommende Woche im Kunstmuseum Bern und in der Bonner Bundeskunsthalle eröffnet wird. Anlass ist der „Schwabinger Kunstfund“: 2012 waren den Behörden im Zuge der Durchsuchung von Cornelius Gurlitts Wohnung große Teile der Sammlung seines Vaters Hildebrand in die Hände gefallen. Zusammen mit einem zweiten Kunstfund waren das mehr als 1500 Werke, die Gurlitt senior großteils in den Jahren 1937 bis 1945 zusammengetragen hatte. Ein exemplarischer Fall nationalsozialistischer Kulturpolitik, von staatlich gelenktem Kunstraub aus Museen, Sammlungen und jüdischem Besitz und einem perfidem Netzwerk aus Politik und Kunsthandel.

Bern wird sich auf die Aktion „Entartete Kunst“ konzentrieren, Bonn übernimmt den Part der Dokumentation der NS-Kunstpolitik, zeigt Werke aus dem Kunstfund, widmet sich der Provenienzforschung und der Problematik von NS-Kunstraub und Restituierung.

Im Sommer 1941 galt die im Nazijargon so genannte Verwertungsaktion „Entarteter Kunst“ offiziell als abgeschlossen. Gurlitt gehörte zum einflussreichen Kunsthändlerquartett, das die in deutschen Museen und Sammlungen beschlagnahmten Kunstwerke seit 1938 gegen Devisen für die Nazis auf dem Kunstmarkt versilberte. Mit 3879 Arbeiten, die sich Gurlitt aus dem Konvolut der „Entarteten Kunst“ sicherte, war er die Nummer eins des Quartetts. Politisches Ziel war es unter anderem, die Werke möglichst ins Ausland zu verkaufen und damit für immer den Blicken der deutschen Bevölkerung zu entziehen. Gurlitt freilich bediente auch seine Kundschaft im Reich, den Fabrikanten Reemtsma etwa, den Industriellen Sprengel und den Kölner Anwalt Haubrich, die sich für verfemte Kunst interessierten. Doch die lukrativsten Geschäfte liefen in der Schweiz.

Verkaufsgenie

Gurlitt entwickelte sich zum Verkaufsgenie. Meike Hoffmann und Nicola Kuhn berichten in ihrem lesenswerten Buch „Hitlers Kunsthändler Hildebrand Gurlitt“ von Transporten für das „Führermuseum“, bei denen Gurlitt Blätter des verfemten Max Beckmann mit nach München schmuggelte. Ein Kunsthändler erwarb sie, das Geld war für den klammen Beckmann im holländischen Exil gedacht. Gurlitt selbst sicherte sich Blätter Beckmanns, der sich nach dem Krieg revanchierte und in Gurlitts Entnazifizierungsverfahren für den Kunsthändler bürgte.

Wer war Hildebrand Gurlitt? Kein Nazi sicherlich, aber ein Profiteur, der sich keine Gedanken über die Umstände zu machen schien, wie und unter welchen Pressionen die Kunst, mit der er handelte, auf den Markt kam. Er war einerseits ein glühender Verehrer gerade der Moderne, die die Nazis als „Entartete Kunst“ brandmarkten und verfolgten, wurde andererseits Hitlers Chefeinkäufer für das „Führermuseum“. Eine bizarre Figur. Dass er sich weigerte, am 1. Mai 1933 die Hakenkreuzfahne auf „seinem“ Hamburger Kunstverein zu hissen, kostete ihm den Direktorenjob – bald darauf kollaborierte er mit den Nazis bei der Aktion „Entartete Kunst“.

Hoffmann und Kuhn beschreiben den „Vierteljuden“ Gurlitt gleichermaßen als exzellent vernetzten Überlebenskünstler wie als Opportunisten, der nach 1933 sehr geschickt versuchte, unter dem Radar der NS-Rassenpolitik zu manövrieren – und seine Geschäfte zu machen. Dass Hitlers Kunsthändler das auch bald nach 1945 gelang – bei intakten Netzwerken und mit den alten Akteuren der „braunen Jahre“ – erstaunt. Keine zehn Jahre nach seiner Beteiligung an der Aktion „Entartete Kunst“ sitzt Gurlitt wieder fest im Sattel: als Direktor des renommierten Düsseldorfer Kunstvereins.

Ein Freund der Avantgardeim Visier der Nazis

Hildebrand Gurlitt wird 1895 in eine großbürgerliche, kulturaffine Dresdner Familie geboren. Sein Großvater war Maler, der Vater ein bedeutender Architekturtheoretiker, sein Bruder Musikwissenschaftler, sein Cousin Kunsthändler. Gurlitt zog freiwillig in den Krieg, studierte anschließend Kunstgeschichte. 1925 bis 1930 leitete er das König-Albert-Museum in Zwickau. Sein progressiver Stil – unter anderem mit Ausstellungen von Expressionisten – rief die erstarkende Rechte auf den Plan. Auf Druck von Gruppierungen wie dem „Kampfbund für Deutsche Kultur“ wurde Gurlitt entlassen. 1931 wurde er Direktor des Hamburger Kunstvereins. Auch dort stieß sein progressives Programm auf den Widerstand rechter Kreise – Mitte 1933 wird er zum Rücktritt gezwungen.

Gurlitt verlegt sich auf den Kunsthandel, wird zum offiziellen Kunsthändler der Nazis. Nach dem Krieg werden Teile seiner Sammlung konfisziert, 1950 erhält er sie zurück. Beim Entnazifizierungsverfahren wird Gurlitt entlastet, 1948 zum Direktor des Düsseldorfer Kunstvereins berufen. 1956 stirbt er an den Folgen eines tragischen Verkehrsunfalls. Seine Schätze geraten in Vergessenheit. Bis 2012, als ein Großteil davon in der Schwabinger Wohnung von Hildebrand Gurlitts Sohn Cornelius entdeckt wird.

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