"Leonce und Lena" in der Bonner Oper Großartiges Ballett als Polit-Satire

Bonn · Das Handlungsballett lebt. Wie spannend es sein kann, eine Geschichte zu tanzen, ohne dabei im klassischen Formenrepertoire zu erstarren, bewiesen 40 fabelhafte Tänzer der Grands Ballets Canadiens de Montréal in der Bonner Oper.

 Getanzte Geschichte: Das kanadische Ensemble sorgt für Lustspiel-Fröhlichkeit.

Getanzte Geschichte: Das kanadische Ensemble sorgt für Lustspiel-Fröhlichkeit.

Foto: Lilian Szokody

Mit Georg Büchners "Leonce und Lena" hat sich Choreograf Christian Spuck eine frühe Polit-Satire vorgenommen, deren revolutionäre Attacken unter dem Deckmantel harmloser Lustspiel-Fröhlichkeit immer sichtbar bleiben. Der von dekadenter Langeweile geplagte Prinz Leonce vom Königreich Popo soll sich mit Prinzessin Lena von Pipi vermählen, macht sich jedoch mit seinem Diener Valerio aus dem Staub.

Unterwegs treffen die beiden zufällig auf Lena und ihre Gouvernante, die ebenfalls vor dem ungewollten Ehe-Arrangement geflohen sind, und die Liebe mitsamt den nötigen Verwicklungen nimmt ihren Lauf. Die beredten Gesten der Choreografie, prächtige Kostüme und die mit brillanter Technik gepaarte Ausdrucksstärke der Solisten sprechen für sich: Ohne Mühe, dafür mit großem Vergnügen folgt das Publikum der Handlung.

Jeder Solist ist nicht nur Tänzer, sondern auch Charakterdarsteller: Hervé Courtain mausert sich als Leonce vom blasierten Fant zum jugendlichen Helden, Emilie Durvilles Lena ist in ihrer Kombination von verliebtem Ernst und mädchenhafter Verspieltheit ein wunderbarer Kontrast zur zickig-koketten Prinzen-Geliebten Rosetta (Alisia Pobega).

Der kraftvolle André Silva verkörpert als Valerio den Inbegriff des lebenslustigen Schelms, während der umwerfend komische Marcin Kaczorowski den König als vertrottelten Sonderling überzeichnet - Schuhplattler, Twist und Moonwalk inklusive. Überaus wandlungsfähig präsentiert sich auch das Corps de ballet: Die klassische Grazie der vornehmen Hofgesellschaft ist ein Genuss, das eher rustikale Auftreten der Bauerntölpel im Gasthaus ein Riesenspaß.

Doch so witzig der getanzte Büchner auch daherkommt: Schon der Soundtrack, der die Operettenseligkeit à la Johann Strauß und Léo Delibes immer wieder mit Zeitgenössischem von Martin Donner und Bernd Alois Zimmermann unterbricht, sorgt für bedrohliche Untertöne.

Auch das marionettenhafte Ballett der Hofschranzen bereitet Unbehagen, und wenn Leonce und Lena am Ende ihre Hochzeit unter der Maske mechanischer Aufziehpuppen feiern, ist das Happy End mit Vorsicht zu genießen: Mag sich das Paar auch gefunden haben, an der provinziellen Kleinstaaterei im Reiche Popo wird sich nichts ändern - schon klopft die Langeweile wieder an die Tür. Einstweilen aber feiern die Bonner einen großartigen Ballettabend.

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