"Geschichten aus dem Wiener Wald" in der Halle Beuel

Wie eine Talabfahrt im sulzigen Schnee: Klaus Weise hat sich Ödön von Horváths Stück "Geschichten aus dem Wiener Wald" in der Halle Beuel vorgenommen und an die Gegenwart herangeführt.

Bonn. Ödön von Horváth ging im Wiener Wald so für sich hin, hat sich der legendäre Kritiker Alfred Polgar (1873-1955) einmal vorgestellt. "Auf diesem Spaziergang, nichts Tragisches zu suchen war sein Sinn, fand er allerlei Lustiges."

Allerdings, so Polgar weiter, erkannte der Dramatiker sofort die Notwendigkeit, sich über das Lustige ernst zu machen. "Die Geschichten aus dem Wiener Wald", 1931 zum ersten Mal gespielt, sind ein Volksstück und die Parodie dazu. Kleine Leute, eigentlich als Karikaturen angelegt, verhandeln da die großen Dinge mit Gott, gehen an ihren unerfüllbaren Sehnsüchten zugrunde und gewinnen als geborene Verlierer doch so etwas wie Größe. Sie wachsen dem Zuschauer ans Herz.

Tickets Karten in den GA-ZweigstellenKlaus Weise hat sich Horváths Stück in der Halle Beuel vorgenommen und an die Gegenwart herangeführt. Die Bühnen-Designerin Dorothea Wimmer hat ihm eine Ladenzeile gebaut, wo im Parterre Metzger Oskar (Arne Lenk), Zauberkönig (Ralf Drexler) und Tabaktrafikantin Valerie (Nina V. Vodop'yanova) zu Hause sind. Es gibt viel zu sehen und zu entdecken in der Halle Beuel. Im ersten Stock sieht man ein Billardcafé, darin eine Menge Spielautomaten.

Will sagen: Das Leben ist ein Glücksspiel. Für die meisten Figuren im "Wiener Wald" ist es allerdings ein Unglücksspiel. Und für das Publikum in der Halle Beuel leider auch. Nicht, dass man Weises Deutung nicht mit Interesse verfolgt. Aber zum einen bleibt es sein Geheimnis, welche Essenz er dem Stück abgewinnen wollte; der Bilderbogen, den der Regisseur zeigt, bleibt disparat. Zum anderen quält sich das große Ensemble durch zweieinhalb meist zähe Stunden, oft sprechen sie wie in Trance.

Fürs Publikum ist das wie eine Talabfahrt im sulzigen Schnee. Weises Wiener Wald: eine Welt, aus der Liebe und Fürsorge verschwunden sind. Stattdessen: Spielautomaten, ein Verrichtungs-Ort à la "Irina Palm", Realschülerinnen im Lolita-Look, ein Erotikkino und Projektionen von Poledance-Attraktionen. Dazu Musik von The Verve und Radiohead: "But I'm a creep / I'm a weirdo." Poetischen Mehrwert hat dieser Blick ins schmuddelige Rotlicht-Milieu nicht.

Als Gegenprogramm tritt kurz der Kinderchor des Bonner Theaters auf, ganz in Weiß. Was sie auf der Bühne herausarbeiten, sind die Schläge (im wörtlichen und im übertragenen Sinne), die hier die Frauen einstecken. Ihren Ehrgeiz trägt Anastasia Gubareva als Marianne wie ein schlecht sitzendes Kleid. Nachdem sie den Bräutigam Oskar (Arne Lenk) für den Hallodri Alfred (Nico Link) sitzen lässt, ist ihr Niedergang programmiert.

Gubareva hat berührende lyrische Momente; leider zu wenige. Nico Link, einer der besten Sprecher des Theaters, trägt als Alfred mehrere Seelen in seiner Brust. Er hat den Willen, das Anständige zu tun, und ist zu weich, um die Widrigkeiten des Alltags zu ertragen. Nina V. Vodop'yanova als Valerie sucht sich mit tiefdekolletierter Sicherheit immer den falschen Kerl aus. Doch am Ende kriegt sie die Kurve, sie ist im Herzen eine Gute.

Tanja von Oertzen ist die fiese Hex' des Abends. Die Nähe zum Tod rechtfertigt für diese Frau jeden Ausfall, jede Obszönität, selbst die Gewalt, die sie Mariannes Kind antut. Dass sie sich einmal bewegt wie Gollum im "Herrn der Ringe", ist kein Zufall. Günter Alt liefert als Havlitschek die Miniatur eines geschmeidigen Verführers. Arne Lenk spielt den Oskar als einen sich in sein Schicksal fügenden, gleichwohl beharrlichen Fatalisten.

Stefan Preiss ist ein desillusionierter Rittmeister, Birger Frehse ein kakaduhaft frisierter Jungnazi. Ralf Drexler tritt als Filmzitat auf, die Maske lässt ihn erscheinen wie Mickey Rourkes Wrestler in einer seiner letzten Runden. Wiener "white trash".

Die nächsten Vorstellungen: 23., 25. und 30. März, 5., 10. und 16. April.

Auf einen Blick##ULIST##

Das Stück: Horváths "Wiener Wald" ist wunderbar gealtert.

  • Die Inszenierung: Klaus Weise lässt das Publikum über seine Regieziele im Dunkeln.
  • Die Schauspieler: Sie erscheinen vom Regisseur allein gelassen und machen das Beste daraus.
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