Gefühlvoll, aber nie pathetisch

Tanzende Küchlein, rumpelnde Ochsenkarren und eine skurrile Hexe werden im Bonner Beethoven-Haus zum Leben erweckt - Evgeni Koroliov bietet eine spannende Interpretation von Modest Mussorgskys Klavier-Zyklus "Bilder einer Ausstellung"

Bonn. Angesichts einer derart stringenten und außerordentlich spannungsreichen Interpretation, wie sie Evgeni Koroliov von Modest Mussorgskys Klavier-Zyklus "Bilder einer Ausstellung" jetzt im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses vorgelegt hat, stellt sich einmal mehr die Frage, warum sich eine ganze Reihe von Komponisten, darunter an vorderster Stelle Maurice Ravel, an ihrem russischen Kollegen durch orchestrale Bearbeitungen vergehen musste.

Mussorgsky, der mit seiner Oper "Boris Godunow" durchaus beweisen konnte, wie effektvoll er zu orchestrieren verstand, hat vermutlich sehr bewusst das Klavier für seine Hommage an den früh verstorbenen Maler, Illustrator und Architekten Viktor Hartmann gewählt. Kurioserweise aber sind die "Bilder" vor allem durch Ravels knallige Orchesterfassung erst so richtig populär geworden.

Koroliov, 1949 in Moskau geboren, ist ausgewiesener Bach-Exeget, was der Emotionalität, sprich: Tiefe seiner russischen Seele rationale Grenzen setzt. Sein technisch brillantes Spiel ist gefühlvoll, aber nie pathetisch, ausdrucksvoll, aber nie effekthascherisch.

Forsch stürmt sein Mussorgsky vermittels "Promenade" in die Ausstellung: Wie aus Stein gemeißelt erscheint die Oberfläche von "Gnomus". Hörbar mitgenommen zieht der Betrachter weiter, schlenkernd schließt sich "Das alte Schloss" an und scheint sich in seiner Barkarole fortträumen zu wollen.

Mutig ausschreitend geht es zu den "Tuillerien", denen übergangslos "Bydlo", der Ochsenkarren, folgt, der, sehr robust angegangen, kaum noch zu steigern ist, dafür aber in weit disponiertem Decrescendo langsam davonrumpelt.

Schwerelos trillernd tanzen die "Küchlein" in ihren Eierschalen, worauf "Samuel Goldenberg" den jammernden "Schmuyle" mit einem derben Fußtritt hinausexpediert. Dem lebensfrohen Geschnatter auf dem "Marktplatz von Limoges" folgen mahnend die Totenschädel der "Katakomben": "Con mortuis in lingua mortua".

Geradezu Angstschlotternd zieht der Betrachter weiter zur skurrilen Hexe "Baba Yaga" und zum finalen "Großen Tor von Kiew", dessen um einen schlichten Choral herum gruppierte Staccato-Akkorde sämtliche Glocken der Stadt zum Tönen bringen.

Nicht minder eindrucksvoll hatte Koroliov das Benefiz-Konzert zugunsten der Restaurierung des sich an Beethovens Geburtshaus anschließenden Hauses "Im Mohren" mit seiner beispielhaften Realisierung von Schuberts B-Dur-Sonate (Deutsch 960) eröffnet; Svjatoslav Richter hätte seine Freude daran gehabt.

Sorgsam disponiert Koroliov Kopfsatz wie Andante unter Beachtung sämtlicher Wiederholungen, dabei nach überirdischer Endlosigkeit strebend. Kräftige Akzente der Linken im Mittelteil des Scherzo führen ins Diesseits zurück, bevor ein launig hingeworfenes Finale dem Phänomen der romantischen Ironie Tribut zollt.

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