"Eiszeitjäger. Leben im Paradies" bis 28. Juni Fröhliche Eiszeit im Bonner Landesmuseum

BONN · Der Besucher der aktuellen Ausstellung im LVR-Landesmuseum Bonn stutzt erst einmal: Die Europa-Landkarte, auf der er unvermittelt im Entree zum Stehen kommt, irritiert. Ärmelkanal und Ostsee sind praktisch verschwunden, die Themse und die Seine fließen in den Rhein.

Was für heutige Briten der Albtraum wäre, war vor 15.000 Jahren Realität. In der allmählich endenden Eiszeit waren große Teile der Wassermassen in Gletschern im Norden gebunden, lag der Meeresspiegel rund 70 Meter tiefer als heute, Mitteleuropa war eine Steppenlandschaft, über die Herden von Elchen, Wollnashörnern und Wildpferden zogen und wo rund 50.000 Jäger und Sammler und deren Familien lebten. Gut besiedelt war etwa die Region am Rhein entlang zwischen Oberkassel und Koblenz.

Ein roter Punkt auf der Landkarte bezeichnet Bonn-Oberkassel und damit das Thema der Ausstellung. Denn die kreist um das sensationelle, 14.700 Jahre alte Doppelgrab von Oberkassel, das vor hundert Jahren durch Zufall bei Steinbrucharbeiten an der Rabenlay entdeckt wurde.

Was die Arbeiter fanden und unsortiert in einer leeren Sprengstoffkiste sammelten, waren die Skelette von einer 20- bis 25-jährigen Frau und eines etwa 40-jährigen Mannes sowie Kunstgegenstände und die Skelettknochen eines Hundes, des frühesten in Europa nachweisbaren Haushundes.

Zufallsfund

Der Fund gehört seit jener Zeit zu den herausragenden Exponaten des Landesmuseum und wird intensiv erforscht. Seit 2008 sitzt ein 30-köpfiges Wissenschaftler-Team daran, vom Oberkasseler Doppelgrab ausgehend das Leben der Eiszeitjäger zu erforschen. Forensiker und Ethnographen, Archäologen und Volkskundler haben das Paar und den Hund untersucht. Wo die Spuren nicht ausreichten, kam, so Liane Giemsch, neben Ralf W. Schmitz für die Schau verantwortlich, die "experimentelle Archäologie" mit ihren Hypothesen zum Zug.

Herausgekommen ist eine äußerst anschauliche Zeitreise in die Eiszeit, ein Blick in den Alltag vor 15.000 Jahren. Originale Exponate stehen neben Rekonstruktionen und Mitmachstationen, in denen auf spielerische Weise erklärt wird, wie die Forschung zu ihren Schlüssen kam. Eine Attraktion ist ein großes Zelt der Eiszeitjäger, das aufgrund von archäologischen Spuren mit "Eiszeitwerkzeugen" und damals verfügbaren Materialien nachgebaut wurde.

Nadel mit Öse erfunden

Es gibt Feuerstellen, in denen Steine erhitzt wurden, die man dann in Kochmulden warf, um damit Wasser zu erhitzen. Eine Art Eiszeit-Tauchsieder, der die Nahrung erwärmte. Die Zeit vor 15.000 Jahren war eine Epoche, die geprägt war von abrupten Klimaschwankungen und dem Erfindungsgeist der Sammler und Jäger.

Die damals erfundene Nadel mit Öse etwa ermöglichte die Herstellung wetterfester Kleidung, Pfeil und Bogen lösten die schwerfälligen Speerschleudern ab, die Domestizierung des Hundes gab dem Menschen einen Jagdbegleiter und schützte die Familie.

Die beiden Rheinländer aßen Pflanzen, Fisch und Fleisch

In welcher Beziehung Mann, Frau und Hund aus dem Oberkasseler Grab zueinander standen, ist ungeklärt. Die Frau, das weiß man, hatte zumindest ein Kind auf die Welt gebracht, der deutlich ältere Mann hatte einen verheilten Bruch am Unterarm und eine Sehnenverletzung an der Schulter. Eine Wurzelentzündung hatte ihn geplagt, außerdem war der Oberkiefer fast zahnlos.

Die beiden waren Rheinländer, aßen Pflanzen, Fisch und Fleisch und hatten ein Faible für kleine Skulpturen. Sie hatten wohl auch genügend Zeit für die Kunstproduktion. Als "paradiesisch" bezeichnet Schmitz ihr Leben in der Eiszeit: In vier Stunden war das Tagewerk vollbracht, der Rest war Freizeit. Ausstellungen wie diese würden den Menschen unserer Tage nachdenklich machen, sagt Schmitz. Experiment gelungen!

LVR-Landesmuseum, Colmantstraße 14-16; bis 28. Juni. Di-Fr, So 11-18, Sa 13-18 Uhr. Katalog 19,90 Euro

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