In der Bundeskunsthalle Friedenspreisträger Liao Yiwu stellt sein neues Buch vor

Bonn · Umwerfend sein Lächeln, die Bewegungen geschmeidig, die Augen wach, zart der Gesang: Wenn der jugendlich wirkende 54-jährige Liao Yiwu etwas linkisch auf der Bühne im Forum der Bundeskunsthalle steht, vergisst man fast, was dieser Mann in seiner Heimat China durchgemacht hat.

 Aus dem Reich der Finsternis: Liao Yiwu (rechts) und Heikko Deutschmann.

Aus dem Reich der Finsternis: Liao Yiwu (rechts) und Heikko Deutschmann.

Foto: Horst Müller

Hunger und Obdachlosigkeit, Verfolgung und Inhaftierung, Folter und Erniedrigung, ein Leben in höchster Angst, bis ihm 2011 die Flucht gelingt. Das Gedicht "Massaker" über die blutige Niederschlagung der Studentenrevolte auf dem Platz des Himmlischen Friedens brachte ihm vier Jahre Haft und Misshandlungen ein. Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler erinnerte mit eindringlichen Worten an Liaos Lebensweg, bevor der seit Anfang des Jahres als DAAD-Stipendiat in Berlin lebende Träger des Friedenspreises den ersten Namen sagte: "Lü Peng".

Was es damit auf sich hatte, erklärte sich im Vortrag von Heikko Deutschmann, der mit sonorer Stimme Teile einer Liste vorlas, die das Blut in den Adern gefrieren ließ: eine Aufstellung von 202 Menschen, die am 3. und 4. Juni 1989 auf dem Tiananmen ermordet wurden. Die "Mütter des Tiananmen" haben sie gesammelt.

Der Schüler Lü Peng, dessen Schicksal Liao Yiwu anfangs schilderte und Deutschmann dann in Übersetzung vorlas, war gegen Mitternacht aus dem Haus der Eltern entwischt. Er wurde von wild herumschießenden Truppen ermordet. Name um Name, traurige Geschichte um traurige Geschichte erklingen im Halbdunkel der Bundeskunsthalle. Liao erhebt ein Klagelied, begleitet von einer Art Gong.

Er wolle nicht mehr Dichter sein, sondern sehe seine Aufgabe nach der Flucht aus China darin, an das Massaker auf dem Tiananmen und die Opfer zu erinnern, hat Liao gesagt. In diesem Zusammenhang ist das neueste Buch des Autors zu sehen, "Die Kugel und das Opium. Leben und Tod am Platz des Himmlischen Friedens". Die Todesliste mit den 202 Namen und Berichten findet sich hier ebenso wie Texte, Gedichte und faszinierende Interviews, die Liao Yiwu im Untergrund führte.

"Die Welt ist ein schmaler Steg", mit diesem Text beginnt das Buch, Deutschmann las daraus. Szenen seiner Flucht mischt Liao mit traumatischen Erinnerungen aus dem Knast: "Meine romantische Dichterhaut ist mir bei lebendigem Leibe abgezogen worden." Und dann das Massaker, das sich mit gespenstischen Bildern andeutet: "Eine lange Reihe von Panzern, die qualmend herandröhnten, wie riesige, unablässig flatulierende Käfer rollten sie nach rechts, nach links und wurden doch von diesem einzelnen Mann aufgehalten." Der hieß Wu Wenjian, sein Foto ging um die Welt. Was dann geschah, davon erfuhr die Öffentlichkeit nur Bruchstücke. Liao Yiwu erzählt die Details in einer gleichermaßen lapidaren wie poetischen Sprache, sein Reportagestil ist von einer hohen Sprachkultur geprägt.

Mit Li Bifeng lässt Liao Yiwu in seinem Buch einen Dichterkollegen im Interview auftreten. Der berichtet von der Zeit nach dem Massaker, von Unterdrückung im heutigen China: "Abhauen, sitzen; sitzen, abhauen, hierhin und dorthin verlegt werden - das ist mein Leben." Liao Yiwu, der sich stetig für die Freilassung seines Freundes einsetzt, ist die Flucht geglückt. Und er ist doch permanent unterwegs, um vom Massaker auf dem Tiananmen zu berichten.

Nach der Lesung in der Bundeskunsthalle packt er sein Buch und die Musikinstrumente in einen großen hellbraunen Rucksack und zieht federnden Schritts weiter.

Liao Yiwu: Die Kugel und das Opium. Leben und Tod am Platz des Himmlischen Friedens. S. Fischer, 430 S., 24,99 Euro.

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