Haus der Geschichte Fotografien von Stefan Moses in der U-Bahn-Galerie

BONN · Der Schrotmüller ist sichtbar gezeichnet. Von jahrzehntelanger, harter Arbeit. Krummgebeugt stützt er sich auf Schaufel und Besen, als wären dies seine Krücken. Sein Körper erinnert an einen Teddybären, der von einem Lastwagen überrollt worden ist.

 Lustig: Köchinnen aus Neukirchen-Wyhra, 1990.

Lustig: Köchinnen aus Neukirchen-Wyhra, 1990.

Foto: STEFAN MOSES

Und trotzdem lächelt der Schrotmüller in die Kamera, nicht einmal gequält. Sondern direkt, echt, ungekünstelt. Aus der linken, ausgebeulten Hosentasche lugt eine ungeöffnete Bierflasche hervor, was den unverwüstlichen Habitus des Malochers noch unterstreicht. Da hat sich einer seine positive Lebenseinstellung bewahren können. In den Stürmen des Lebens.

Die inzwischen 84-jährige deutsche Fotografenlegende Stefan Moses (Agentur Magnum) hat den wackeren Schrotmüller 1990 im ostdeutschen Neetzow porträtiert. Neben 61 weiteren Bildern ist das Foto nun in der U-Bahn-Galerie des Hauses der Geschichte zu sehen.

Titel der Ausstellung: "wir sind wir - Deutsche in Ost und West". Moses hat die ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Aufnahmen von 1963 bis 1965 in der Bundesrepublik und nach dem Mauerfall 1990 in der DDR gemacht. Fast alle "Modelle" aus der Arbeiterklasse posierten vor grauem Filztuch.

Eine scheu lächelnde Serviererin mit Häubchen aus dem West-Berliner Café Kranzler, kernige Krabbenfischer in Ölzeug aus Travemünde; sieben Gymnastiklehrerinnen aus Kiel, die mollige Sinnlichkeit versprühen; axtgescheitelte, pomadierte Saaldiener im Bonner Bundeshaus, die Frack und weiße Fliege tragen und mit ihren verschränkten Armen staatstragend wirken wollen.

Manche bringen sich mit erkennbarer Spiellaune in Positur, etwa der Pfannenputzer aus West-Berlin, der wie ein italienischer Filmkomiker erscheint. Manche haben sich vermutlich weniger wohl vor Moses' Kamera gefühlt, wie der bescheidene Werftschlosser aus Wismar, der im Wortsinn auf dem Sprung ist.

Das charmanteste Bild zeigt eine junge Schäferin aus Priemen, die ein kleines Schaf halb zwischen die Beine geklemmt hat. Mit ihrem linken Fuß beschwert die Schäferin die Hundeleine ihres daran befestigten, offenkundig sehr lebhaften Hütehundes. Tumult! Und die drei Hauer aus der Zeche Amalie im Rheinland wirken wie dem Stephen-King-Roman "Desperation" entnommen: ein rußgeschwärztes, archaisches, finsteres Trio, das aus den Höllenfeuern gestapft zu sein scheint.

Bis Juni 2014 in der U-Bahn-Galerie (U-Bahn-Station Heussallee). Internet: www.hdg.de.

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