Premiere von „Adams Äpfel“ in Köln Fegefeuer der Lebenslügen

Köln · Regisseurin Therese Willstedt zeigt „Adams Äpfel“ nach dem gleichnamigen Film im Kölner Schauspiel als bllutig-grimmiges Passionsspiel.

 Gruppenbild der unheiligen Familie in Therese Willstedts Inszenierung.

Gruppenbild der unheiligen Familie in Therese Willstedts Inszenierung.

Foto: Tommy Hetzel

Es gibt keine schlechten Menschen“, glaubt Dorfpfarrer Ivan und färbt sich so selbst pechschwarze Schafe weiß. Den Säufer und Vergewaltiger Gunnar (Nikolaus Benda) sieht er ebenso geläutert wie den mit der Knarre herumfuchtelnden Tankstellenräuber Khalid und den ehemaligen KZ-Kapo Poul (Horst Sommerfeld). Angesichts dieser eingebildeten Erfolgsquote wird der barmherzige Resozialisierungs-Hirte natürlich auch den bulligen Neonazi Adam auf den rechten Weg führen. Die Zeichen dafür stehen auf Nehle Balkhausens Bühne im Depot 1 des Kölner Schauspiels allerdings schlecht: Ein dunkles Balkengerippe symbolisiert Pfarrhaus, Kirche und Kanzel, neben der ein Kruzifix mit abgerissenem Arm hängt. Willkommen in der Vorhölle. In solch düsterer Kulisse inszeniert Therese Willstedt „Adams Äpfel“ nach dem Film von Anders Thomas Jensen (in K. D. Schmidts Theaterfassung) als grimmig-blutiges Passionsspiel.

Hier werden alle Beteiligten wahlweise von Satan, Gott oder dem lieben Mitmenschen geprüft. Während Adam den Pfarrer vergebens in die Realität zu prügeln versucht, droht sein Besserungsprojekt, einen Apfelkuchen zu backen, an biblischen Plagen zu scheitern. Der dänische Film tanzte gekonnt auf der Rasierklinge, doch auf diesem haarfeinen Grat zwischen perfidem Witz und existenzieller Qual mag ihm die schwedische Schauspielregisseurin nicht unbedingt folgen. Komik hart an der Schmerzgrenze ist heikel und verrutscht nicht nur Martin Reinke als zynischem Arzt. Adams Nazi-Aufpasser Esben (Simon Kirsch) hingegen liefert sich ein groteskes Grammatikduell mit Khalid (Mohamed Achour).

Eine anfängliche Unwucht schwächt vor allem den zentralen Konflikt. Auf der Leinwand gab Mads Mikkelsen dem Pfarrer eine entrückte Unerschütterlichkeit. Jörg Ratjen hingegen beginnt hier als Ivan zu forciert und irrlichtert leicht manieriert zwischen Gutmenschenpenetranz und auftrumpfender Besserwisserei. Als glatzköpfiger Gegner macht es Robert Dölle besser: Gefährlich gelassen bleibt dieser Berserker, der neben offener Brutalität auch den präzisen Druck auf seelische Schwachpunkte im Waffenarsenal hat, eigene Gefühle aber herunterschluckt. Schade nur, dass man über die Vergangenheit dieser Figur am allerwenigsten erfährt.

Ansonsten schmoren hier fast alle im Fegefeuer der Lebenslügen – am heftigsten Ivan, der die Torturen der Kindheit und den Selbstmord der eigenen Frau ebenso leugnet wie die Behinderung seines Sohns. Und obwohl es immer wieder eher platte Geisterbahn-Entgleisungen gibt – Pouls Sterbeszene, Gunnars Rückfall mit Sarah (Annika Schilling) –, gewinnt die Tragikomödie dieser unheiligen Familie allmählich schärfere Konturen. Willstedt stellt oft dichte Gruppenbilder, die an biblische Ikonografie erinnern. Zudem gibt sie dem Duell zwischen Gut und Böse, Verdrängung und Offenbarung zunehmend szenische Wucht. Je stärker Ratjens Ivan zum lädierten Schmerzensmann mutiert, desto eindringlicher wirkt sein stummes Begreifen. Und wenn ihm Adam Schlüsselstellen aus dem Buch Hiob auf die blutige Stirn klebt, ist dies sicher der bitterste Moment der Inszenierung. Zugleich aber wurzelt hier auch die Erkenntnis, dass dieser Mann mit seinem scheinbaren Irrglauben an das Gute im Menschen ein Prinzip Hoffnung verkörpert, auf das keiner dieser Elenden und Gemeinen verzichten kann. Und selten hat man sich schließlich so sehr über einen derart mickrigen Apfelkuchen gefreut. Einhelliger Beifall.

Weitere Aufführungen: 23. u. 30.11. sowie 3., 20., 25. u. 30.12., je 19.30 Uhr.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort