Carlswerk in Köln Faszinierendes "PhotoBookMuseum" öffnet

KÖLN · Das Schneewittchen im Sarg, also das edle Fotobuch in der Vitrine, sucht man hier vergebens. "Wir wollen die Bücher zum Leben erwecken", sagt Markus Schaden, und das gelingt im von ihm initiierten PhotoBookMuseum (PBM) im Kölner Carlswerk äußerst animierend.

 Einmal volltanken: Ein Polizeiwagen (Chevrolet Impala, 1965) parkt vor Stephen Shores L.A.-Straßenszene.

Einmal volltanken: Ein Polizeiwagen (Chevrolet Impala, 1965) parkt vor Stephen Shores L.A.-Straßenszene.

Foto: Günther Meisenberg

In 14 Containern und an den riesigen Wänden werden bis zum 3. Oktober berühmte Fotobücher inszeniert, etwa mit Screening und Klang versehen oder "aufgeschnitten" und als Bauchbinde gleich um das Stahlgehäuse gewickelt. Da hängt Stephen Shores enorm einflussreiches Straßenkreuzungsbild (La Brea/Beverly) aus Los Angeles (1975) mit seiner stoischen Aussagelosigkeit auf acht mal sechs Metern an der Wand, darunter parkt ein Polizei-Chevrolet. Und gegenüber sind Aufnahmen zu sehen, zu denen Shore deutsche Reise-Fotografen inspirierte.

Anders Petersens Fotobuch "Café Lehmitz" (1978) ist allenfalls noch in Antiquariaten zu erstöbern, also ließ man die berühmte Reeperbahn-Kneipe einfach im Carlswerk nachbauen. Für Schaden ist nicht der von Museen fetischhaft gesammelte Vintage Print, sondern das Fotobuch "die zentrale Ausdrucksform" der Lichtbildnerei. Empfangen wird man in diesem erfrischend unmusealen Museum von Julian Germains Buch "For every minute you are angry, you lose 60 seconds of happiness" (mit jeder Minute, in der du wütend bist, verlierst du 60 Sekunden Glück).

Es ist das liebevolle Porträt von Charles Snelling. Charlie war eine Zufallsbekanntschaft, ein Witwer aus Portsmouth, dem aus seinem spartanischen Leben vor allem jene Familienalben geblieben waren, in denen er seine verstorbene Frau Betty noch einmal anschauen kann. Germains Bilder von Charlie und die vergrößerten Fotos des Albums setzen einen wunderbaren Kontrapunkt zur Hektik des Turbokapitalismus.

Letzteren attackierte der Spanier Carlos Spottorno in seinem Fotobuch, das die Wirtschaftszeitung "The Economist" imitierte und "The Pigs" hieß. Nein, das meint keine Schweine, sondern die Krisenländer Portugal, Italien, Griechenland und Spanien, die er in provozierenden Bildern spiegelt.

Auch Andrea Diefenbachs "Land ohne Eltern" über verlassene Kinder in Moldawien gehört zu den aktuellen Recherchen, die das PBM ebenso zeigt wie maßgebliche Klassiker des Genres und ganze Lebenswerke. So zeichnet eine ganze Wand das Lebenswerk des Japaners Daido Moriyama nach. Eine Linie dient als Zeitstrahl, darüber sind seine vielfältigen Einflüsse (etwa Jack Kerouacs "On the Road", die Fotos von Weegee), darunter eigene Werke symbolisiert. Erdrücken anfangs die Vorbilder Daidos Schaffen, so explodiert dieses später geradezu.

Es gibt eine Ecke, wo man in den besten Fotobüchern schmökern kann, dazu eine Dunkelkammer, in der Fotos von Boris Becker, Oliver Abraham und Bettina Gruber "entwickelt" und signiert werden. Man sieht Skurrilitäten wie den blauen Käfig mit Fotos angemalter Wettkampf-Brieftauben - ergänzt um den entsprechenden Siegerpokal.

Daneben stehen kleine, feine Werkzyklen wie von Todd Hido, der die US-Provinz so unheimlich-suggestiv einfängt, als hätten Edward Hopper und David Lynch gemeinsame Sache gemacht.

Und wenn man meint, in dieser Wunderkammer alles gesehen zu haben, warten in der Tiefgarage noch Chargesheimers menschenleere Impressionen von "Köln 5 Uhr 30". Und zwar so, wie L. Fritz Gruber sie 1970 auf der Photokina präsentierte: als spektakulär vergrößerte Prints. Die ließ man nun wieder (vom Negativ!) ziehen und hängt sie an die Säulen, so dass man in diesen kühlen Stadtkulissen umherwandern kann.

Alles in allem: Ein Museum, dem man mehr als ein Gastspiel auf Zeit wünscht.

Fakten zum Museum

Das PhotoBookMuseum logiert im Carlswerk nur bis zum 3. Oktober. Eine Winterbespielung der ungeheizten Halle wäre heikel, außerdem braucht der Vermarkter Beos die Fläche (6500 Quadratmeter) anderweitig. Beos sponsert freilich bis dahin die Miete (70.000 Euro). 2015 wird das Museum mobil, so soll die Eröffnungsshow in Containern nach Dubai verfrachtet werden.

Außerdem will das PBM möglichst rasch online präsent sein. Für 2016 peilt Markus Schaden einen dauerhaften Standort in Köln an. Womöglich könne man auch noch eine Präsentation in gestapelten Containern vorschalten. In der Eröffnungswoche sowie der Photokina-Festivalwoche (16.-21. September) gibt es ein vielfältiges Rahmenprogramm mit Workshops, Diskussionen sowie Signierstunden der eingeladenen Fotografen.

Das Museum liegt im Carlswerk, Köln-Mülheim, Schanzensstraße 6-20. Dort im ehemaligen Kupferwerk in der Hüttenstraße. Öffnungszeiten bis 3.10.: Di-Do u. Sa 10-18 Uhr, Fr/Sa 10-23 Uhr.

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