Kunstmuseum Bonn "Ernst Wilhelm Nay - Das polyphone Bild" - Die Welt ist eine Scheibe

BONN · Er war der Star im Wirtschaftswunder-Deutschland, gefeierter documenta-Künstler, war bei der erste Folge 1955 dabei und wurde auch zu den Nummern zwei und drei eingeladen. Ein Unikum: An Ernst Wilhelm Nay (1902-1968) führte kein Weg vorbei.

 Ernst Wilhelm Nay: Comet, 1964, Aquarell auf Aquarellpapier.

Ernst Wilhelm Nay: Comet, 1964, Aquarell auf Aquarellpapier.

Foto: Museum

Und als die Einladung zur documenta 4 (1968) ausblieb, und die Wellen der Entrüstung angesichts des damals von vielen missverstandenen, radikalen Spätwerks über den Malerfürst hereinbrachen, war ihm fast schon egal, was die Welt über ihn dachte.

Er war ihr genialisch entrückt. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod am 8. April 1968 in Köln ahnte man, was in jenen letzten künstlerischen Schritten steckte. Heute beziehen sich zeitgenössische Künstler explizit auf sein zeitloses Spätwerk.

Faszinierend, wo alles begann: bei grafischen Arbeiten, die in raffinierter Überlagerung Ostseefischer, deren Boote und das karge Panorama zu einer Einheit verspinnen; oder in den gewaltigen Bildern schroffer Felsformationen, angedeuteter Seen und rauer Vegetation, die Nay auf den Lofoten in Nordnorwegen zeichnete und aquarellierte.

Wer will, kann in diesen dynamisch verwirbelten, durch starke Schrägen und wechselnde Zentren aktivierten Blättern und in deren zupackendem, starkfarbigen Kolorit bereits Details erkennen, die in den nächsten 30 Jahren wiederkehren.

Diesem Prozess nachzuspüren, war bereits 2002 ein Vergnügen, als das Kunstmuseum Bonn eine Retrospektive der Malerei präsentierte. Nun legt das Haus mit einer Retrospektive der Nay-Zeichnungen nach. Manche Erinnerung wird reaktiviert, finden sich doch unter den jetzt gezeigten Blättern einige vorbereitende Zeichnungen zu Gemälden. Überhaupt haftet dem zeichnerischen Oeuvre ein frischer, experimenteller Laborcharakter an.

Vieles wurde mit Stift, Feder und Pinsel ausprobiert, bevor es auf die Leinwand ging. Die ersten spontanen Reaktionen etwa auf die Lofoten brachte Nay direkt aufs Papier. Die Umsetzung ins große Format fand später statt. Der Umstand, dass Nay wie in einem künstlerischen Dialog meist parallel malte und zeichnete, bringt es mit sich, dass jede Phase seines Werks auch auf Papier rekapituliert werden kann.

Mit eigenen Bonner Werken, Leihgaben aus Privatbesitz und von der in Köln ansässigen Nay Stiftung ist ein mit 150 Arbeiten exzellent bestückter repräsentativer Überblick gelungen. Ein erster Höhepunkt sind die Lofoten-Bilder (ab 1937), denen man die Erleichterung des von den Nazis verfemten, mit Malverbot bedachten und in der Schau "Entartete Kunst" diffamierten Künstlers ansieht.

Auf Zeit raus aus dem Reich an die norwegische Küste: Nay hat die Eindrücke gierig aufgesogen, daraus aber ein relativ kontrolliertes Gefüge aus grafischer Struktur, Formen und Farbflächen mit Hang zur Abstraktion entwickelt.

Wieder in der Heimat und dann an der Front in Frankreich zeichnet und malt Nay märchenhafte, kostbare, figürliche Motive, in denen der Expressionismus eines Kirchner nachglimmt. Auf die Liebenden folgen die "Hekate"-Bilder mit Anspielungen auf antike Mythen. Selten gelangen politische Situation und Krieg so deutlich in die Kunst wie bei der finsteren "Sibylle" (1945) mit den Geschützrohren über dem Kopf.

Mit den "Fugalen Bildern" und dann den "Rhythmischen Bildern", die auf Nays Übersiedlung nach Köln folgen emanzipiert sich Nay koloristisch wie formal. Seine Auseinandersetzung mit Picasso und dem Kubismus lässt neue (Frei-)Räume auf der Fläche entstehen.

Mit der "Erfindung" der Scheiben-Bilder Mitte der 50er Jahre gelingt der Durchbruch, Nay wird mit den kreisrunden Farbscheiben, die er nebeneinandersetzt und überlagert, die gleichermaßen statisch wie beweglich sind, zum Star des Kunstmarkts, zum Gerhard Richter der 50er Jahre. Mitte der 60er ist Schluss damit: Magische Augen brechen die Scheiben.

Und dann kommt etwas ganz Neues: wie Bänder nebeneinander liegende Reihen von Formen mit messerscharfen Konturen und einer radikal harten Farbigkeit.

Kunstmuseum Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 2; bis 3. Februar 2013. Di-So 11-18, Mi bis 21 Uhr. Katalog (Hatje Cantz) 25 Euro

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