Eine kleine Engelkunde Engel beflügeln die Fantasie

Bonn · Sie sind oft blond, sehr hübsch - und aus dieser Welt nicht wegzudenken: Engel, diese himmlischen Heerscharen, die die Kommunikation zwischen Gott und den Irdischen sicherstellen, ansonsten die Fantasie beflügeln.

 Auch Siegesengel sind Engel: Im Sonnenuntergang über Berlin, rechts die Siegessäule.

Auch Siegesengel sind Engel: Im Sonnenuntergang über Berlin, rechts die Siegessäule.

Foto: dpa

Künstler aller Zeiten haben sich von den gefiederten Boten forttragen lassen. Bildhauer ließen sie als putzige Putten um Altäre flattern, Maler zeigten sie dramatisch vom Himmel herabrauschend, wie sie gute Nachrichten überbringen oder - im Fall der ungehorsamen Adam und Eva - drastische Strafen verhängen. Ein Filmregisseur wie Josef von Sternberg etwa prägte die erotische Figur des "blauen Engels", die Marlene Dietrich in unverbesserlicher Laszivität verkörperte. Um bei den Farben zu bleiben: Wir kennen auch die Gelben Engel, die bis zum Manipulationsskandal den unerschütterlichen Nimbus des ADAC zum Leuchten brachten. Schutzengel, die den am Straßenrand gestrandeten Autofahrer retten.

Es gibt auch die Sparte der gefallenen Engel. Der Teufel hat wahre Engelsbataillone, die der dunklen Seite der Macht zu mehr Einfluss im Poker zwischen Gut und Böse verhelfen. Im 14. Jahrhundert gab es in den Chroniken eine Art Engelszählung. 300 Millionen wurden ermittelt, mehr als ein Drittel davon gefallene Engel. Die Erzengel Michael, Gabriel, Raphael und Uriel sind im Christentum sozusagen die Chefs im Himmel, die jüdische Überlieferung kennt hingegen sieben. Der Erzengel Gabriel spielt in unserem aktuellen Zusammenhang eine besondere Rolle: Er hat Maria Gottes Plan übermittelt, Mariä Verkündigung wird am 25. März gefeiert.

Ohne Gabriel und weitere Engel wüssten wir nichts von Weihnachten. So steht in der Bibel im Lukasevangelium geschrieben: "Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth zu einer Jungfrau gesandt." Maria erschrickt beim Anblick des Engels. Der sagt: "Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben." Und weiter: "Er wird groß sein und Sohn des Höchsten. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben."

Marias naheliegende Frage - sie ist schließlich nur mit Josef verlobt: "Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?" Gabriels Antwort: "Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten." Monate später in Betlehem, Maria hat gerade in einem Stall Jesus zur Welt gebracht, ist es wieder ein Engel, der die Situation erklärt. Den Hirten auf dem Feld, die er zum Stall schickt, sagt er: "Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr." Ein "großes himmlisches Heer" unterstreicht, so der Bericht des Evangelisten Lukas, die Brisanz des Augenblicks. Die Hirten verbreiten die frohe Botschaft. Auch der Evangelist Matthäus schreibt in der Bibel von einem Engel, der Josef im Traum erschien, um ihm die schwangere Maria anzuvertrauen.

Himmlische Boten Gottes

Engel sind laut christlicher Überlieferung die himmlischen Boten Gottes, das Medium zwischen ihm und den Menschen. Sie sind keine Erfindung des Christentums. Auch Sumerer, Babylonier, Ägypter und Griechen kannten himmlische Boten. Seit dem 3. Jahrhundert werden Engel in der christlichen Kunst dargestellt, der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Die frühen Engel haben keine Flügel. Ab dem 4. Jahrhundert sieht man sie dann mit mitunter prächtigen, dynamisch ausschwingenden Flügeln. Im Laufe der Entwicklung werden die Boten immer menschlicher, der Renaissance-Maler Giotto etwa lässt sie am Grab Jesu trauern. In der Renaissance erlebt man auch erste weibliche Engel, wunderschön, nordisch blond, oft auch ohne Flügel. Rembrandt interpretiert den Engel als Gefährten des Menschen.

In der Spätgotik und Renaissance wird auch die Figur des Kinderengels und Putto entwickelt, eine Verniedlichung des Gottesboten zu einem nackten, speckigen, geflügelten Knaben - eine Art Bruder des Amor. Ausufernd und heiter sind die wuseligen Kinderballette in der Deckenmalerei von Rokoko-Kirchen.

Während hier der Engel zum verspielten, putzigen, durchaus witzigen Himmelsschwärmer wird, entdeckt das ausgehende 19. Jahrhundert die Erotik des Engels. Dante Gabriel Rosetti, ein britischer Präraffaelit, malte unglaublich sinnliche Engel, weiblich, männlich, androgyn. Bei William Blake sind Engel sinnliche, ätherische Lichtwesen. Der Romantiker Carl Gustav Carus lässt in einem Gemälde zwei hübsche geflügelte Engel in einer hochdramatisch aufgeladenen Landschaft vor Goethes Harfe beten. Hier sind wir schon bei dem profanen Engelsbild. Der vormals christliche Gottesbote wird zur ganz privaten Sehnsuchtsfigur, Projektionsfläche für Ängste und Hoffnungen.

Der Maler Paul Klee etwa hat in seinen späten Jahren eine sehr intensive, intime künstlerische Zwiesprache mit seinen gezeichneten Engeln entwickelt. Es waren bittere Zeiten, 1933 hatten ihn die Nazis aus seinem Düsseldorfer Professorenamt gejagt, verfemten ihn als "entartet". Klee floh in die Schweiz, erkrankte schwer. Er zeichnete rund 80 Engel, die er "Missengel", "Krise eines Engels", "Näherung Luzifers" nannte.

"Ein jeder Engel ist schrecklich"

Tiefe Skepsis begleitet auch Rainer Maria Rilkes erste, 1912 begonnene Duineser Elegie. Sie beginnt so: "Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? Und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich."

Rilke findet Engel schrecklich, und von den bösen Buben der Rock-Band Rammstein will keiner ein lieber Engel sein. Im Song "Engel" von 1997 hört man: "Wer zu Lebzeit gut auf Erden wird nach dem Tod ein Engel werden. Den Blick gen Himmel fragst du dann, warum man sie nicht sehen kann. Erst wenn die Wolken schlafen gehen kann man uns am Himmel sehn, wir haben Angst und sind allein. Gott weiß, ich will kein Engel sein."

Engel sind wie fliegende Gedanken, grenzenlos unterwegs. Vielleicht war es das, was sie in der DDR so suspekt machte. Der SED-Diktatur gelang es nicht, den Ostdeutschen Weihnachten, Engel und Christkind auszutreiben, sosehr auch der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht versuchte, das Weihnachtspersonal durch das russisch-sowjetische "Väterchen Frost" zu ersetzen. Das Wort "Engel" sei, so kolportiert eine Legende, auf dem Index gelandet. Es gab dann die "Jahresendfigur o.F." und "Jahresendfigur m.F.". Mit Flügeln, ohne Flügel.

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