WDR-Silvesterkonzert in Köln Eine Sinfonie für Istanbul

Köln · Jukka-Pekka Saraste dirigiert in der Kölner Philharmonie ein siebensätziges Orchesterwerk des türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say

 Jukka-Pekka Saraste

Jukka-Pekka Saraste

Foto: picture alliance / dpa

Es war nicht das Geräusch der Rheinwellen, das zu Beginn des Silvesterkonzertes mit Jukka-Pekka Saraste und dem WDR Sinfonieorchester in der Kölner Philharmonie anbrandete. Im dicht besetzten Haus rollten die Fluten des Marmara-Meers aus, wie sie der türkische Komponist Fazil Say in seiner „Istanbul-Sinfonie“ erinnert. Seine Tondichtung stellte das Hauptwerk des Abends mit türkischen Solisten und ihren Spezialinstrumenten.

Fazil Say ist ein großer Erzähler am Klavier als Interpret und Improvisator. Aber auch als Komponist gelingt ihm durch die klar verständliche bildstarke Tonsprache in Verbindung mit einem inhaltlichen Kommentar ein imposanter Museumsbesuch mit klingender Landschaftsmalerei und großen Schlachtengemälden. Er stürzt den Hörer mit Meeresrauschen und den türkischen Instrumenten Ney, einer Längsflöte, und einem Qanum, einer Kastenzither sowie den Perkussionsinstrumenten Bendir, Kudum und Darbukah gleich in einen westöstlichen Dialog. Das Orchester ist groß besetzt, die Originalinstrumente wurden über Mikrophone verstärkt.

Fazil Says siebensätzige Sinfonie, ein Auftragswerk des WDR und des Konzerthauses Dortmund, dort uraufgeführt 2010 – damals war Istanbul Kulturhauptstadt Europas – greift auf orientalische Melodien zurück, um sein geliebtes Instanbul zu beschreiben. Aber gleich im zweiten Satz „Tarikat“ prangert er Fanatismus, Radikalismus und Fundamentalismus an, wenn er eine rhythmische Formel aus dem arabischen Satz mit der Bedeutung „Es gibt keinen anderen Gott außer Allah“ entwickelt und penetrant durchführt. Say, der kürzlich den Bonner Beethovenpreis für Menschenrechte entgegennahm, hat sich mit seiner offenen Meinung im Jahr 2013 sogar eine Bewährungsstrafe wegen Blasphemie eingehandelt, zahlreiche Auftritte des Künstlers wurden blockiert.

Wunderbar nutzt das Stück die elektronische Verstärkung, um mit einem Hall-Effekt auf dem Flötenton von Burcu Karadag die zu beschreibende „Sultanahmet-Moschee“ akustisch zu vermessen. Die Kastenzither Hakan Güngörs darf ein Vorspiel improvisieren, während Aykut Köselerli die ihm vertrauten 7/8-Takte trommelt. Im Finale resümiert Say das Werk und lässt den Klang explodieren. Begeisterung im Publikum.

Der Kölner Pianist Dominic Chamot, Jahrgang 1995 setzte einen virtuosen Akzent im Programm. Liszts Totentanz folgte auf vorher erklingende Bauchtanzmusik, eine Paraphrase über „Dies irae“ für Klavier und Orchester, in der Chamot die blanken technischen Anforderungen schwerelos in einen Dialog mit dem Orchester einband. Er „sang“ als Zugabe die „Widmung“ von Schumann, wie sie Franz Liszt einst für Klavier transkribierte.

Tänzerische Kraft und Brillanz vermittelte das Schlussfeuerwerk des Orchesters mit der Ouvertüre zu Bernsteins „Candide“, ein funkelndes Solo für Orchester mit Raketen und Böllern. Dem folgten Tänze von Dvorák und Brahms, beachtlich angefeuert vom Chef Saraste, dem auch ein ungarischer Tanz nicht ungehobelt über das Parkett fegt – das Publikum wollte den Saal kaum noch verlassen.

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