"Eine Familie" in der Werkstatt des Theaters Bonn

Das Ensemble ist der Star: Ingo Berk inszeniert Tracy Letts "Eine Familie" in der Werkstatt des Theaters Bonn. Der Patriarch ist tot, lang lebe der Patriarch! Beverly Weston, das Oberhaupt einer Familie in Pawhuska, zitiert mit whiskeyschwerer Stimme T.S. Eliots "The Hollow Men".

Bonn. Der Patriarch ist tot, lang lebe der Patriarch! Beverly Weston, das Oberhaupt einer Familie in Pawhuska, Oklahoma, zitiert mit whiskeyschwerer Stimme "Das Leben ist sehr lang..." aus T.S. Eliots "The Hollow Men".

Das sei "so was von scheißwahr", irgendwie banal, aber eben von T.S Eliot. Beverly wird uns in der Werkstatt des Theaters Bonn ganz bald verlassen und erst lange, lange dreieinhalb Stunden später als Fata Morgana wiederkommen. In der Zwischenzeit wird man erfahren haben, wie er seine Sippe geprägt hat, wer ihn hasste, wer ihn liebte.

Tickets Karten in den GA-Zweigstellen oder im Ticket-ShopBesonders die Zuschauer trifft der Verlust des Dichters Beverly hart. Denn mit dem selbst im Delirium scharfsinnigen, zynischen alten Mann, der einem in den wenigen Minuten seines Bühnendaseins ans Herz gewachsen ist, geht der einzige Intellektuelle von Bord und ins Wasser.

Das Mittelmaß ist nun am Ruder, ein stromlinienförmiger Uniprofessor, ein windiger Berater und Schürzenjäger, Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Sie alle sind eine große Familie, die Familie des Alkoholkranken Beverly und der Tablettensüchtigen Violet - "meine Frau nimmt Tabletten, und ich trinke.

Das ist die Übereinkunft, die wir getroffen haben. Ich trinke nicht, weil sie Tabletten nimmt. Ob sie Tabletten nimmt, weil ich trinke...", philosophiert der "menschliche Kaktus" Beverly. Zur Familie gehören die drei erwachsenen Töchter des Paares mit Anhang, Violets Schwester mit Mann und irgendwie auch die Indianerin Johnna.

In seinem mit dem Pulitzer-Preis prämierten Stück "Eine Familie/ August: Osage County" inszeniert der Autor Tracey Letts einen Familienkrieg unentschlossen zwischen Südstaatenmelodram und ziemlich platter Soap-Opera. Das Stück ist lang, streckenweise arg geschwätzig und inhaltsleer. Es mit Tennessee Williams oder Eugene O'Neill in eine Beziehung zu setzen (Homepage des Theaters Bonn) funktioniert nicht.

Was hätten Yasmina Reza oder Neil LaBute, die in Bonn schon Sternstunden ablieferten, aus dem Stoff gemacht? Regisseur Ingo Berk hat spürbar Mühe, die Spannung über die volle Distanz zu halten, den oft dahinplätschernden Dialogen Struktur zu geben. Dabei sind die großen Themen da: Missgunst und Dünkel, große offene Rechnungen und trostlose Perspektiven, Betrug, Begehren und Inzest. Sex and Drugs sowieso.

Der Star des Abends ist das Ensemble. Die Bonner Schauspieler retten die Situation, lassen auf der von Damian Hitz stilsicher in die 70er Jahre verlegten Bühne Leere und Längen im Text fast vergessen. In wenigen Minuten hat Rolf Mautz den 69-jährigen Beverly Weston so wunderbar gezeichnet, dass man im Publikum trauert, wenn der Dichter den Freitod wählt.

Mautz kommt freilich wieder: Als Violets tumber, verfressener Schwager Charlie (grandios). Tanja von Oertzen spielt die Violet beklemmend direkt, ob im Tablettenrausch oder als herrschsüchtige, fiese Clan-Chefin. Sie ist gebeutelt von Trauer und Verlassensängsten.

Violets Schwester Mattie Fae wird von Susanne Bredehöft herrlich prollig überzeichnet. In den intensivsten Momenten von "Eine Familie" treffen Violets drei Töchter in wechselnden Konstellationen aufeinander: Das verhuschte Mauerblümchen Ivy (Nina V. Vodop'yanova), die blonde Nervensäge Karen (Birte Schrein) und die älteste der drei, Barbara (Tatjana Pasztor). Ihr hat der Autor Tiefe und Entwicklung gegeben.

Barbara startet als Betrogene und Gebrochene - ihre Debatten mit dem untreuen Bill (scharfzüngig: Hendrik Richter) bringen Stimmung auf die Bühne - und endet als Sieger im Ring, als perfekte Symbiose aus der Strippenzieherin Violet und dem Zyniker Beverly. Saufen kann sie am Ende wie der Alte.

Stefan Preiss gibt den schmierigen Steve, Karens Verlobten, der Jean, Barbaras und Bills 14-jähriger Tochter, an die Wäsche will. Philine Bührer ist die coole Lolita mit dem vielsagenden Augenaufschlag. Maria Munkert spielt die undurchsichtige Johnna.

Der von Oliver Chomik herrlich tölpelhaft gezeichnete Little Charles birgt ein Geheimnis, das hier nicht verraten sei. Günter Alt schließlich ist der trottelig liebe Sheriff, durch den das Publikum von Beverlys Tod erfährt. Tosender Applaus für das Ensemble.

Vorstellungen: 25. Juni, 6., 8., 12. Juli, 20 Uhr in der Werkstatt.

Auf einen Blick

##ULIST##

Das Stück: Südstaatenmelodram oder Soap-Opera? Autor Tracey Letts legt sich nicht fest.

  • Regisseur Ingo Berk hat spürbar Probleme, über drei Stunden lang die Spannung zu halten.
  • Die Schauspieler: Das grandios aufgelegte Ensemble rettet den Abend. Glänzende Einzelleistungen trösten über manche grotesk überzeichnete Type hinweg.
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