R(h)einhören Ein Spaziergang mit der Bonner Stadtklangkünstlerin Christina Kubisch

Bonn · Wie klingt eine Stadt? Wie klingt Bonn? Was ist das spezifische Geräusch, wo liegt das akustische Alleinstellungsmerkmal? Vier Fragen und ein Fall für die Forscherin und Künstlerin Christina Kubisch, die seit drei Monaten Bonner Stadtklangkünstlerin, Stipendiatin der Beethoven-Stiftung ist.

Am Anleger von "Personenschiffahrt Schmitz": Dort wird Christina Kubisch ihre nächste Klanginstallation realisieren.

Am Anleger von "Personenschiffahrt Schmitz": Dort wird Christina Kubisch ihre nächste Klanginstallation realisieren.

Foto: Thomas Kliemann

Sie ist nach Sam Auinger (2010), Erwin Stache (2011) und Andreas Oldörp (2012) die vierte dieser ambitionierten Reihe. Und sie ist die erste, die wenig mehr als ihre große Erfahrung als Klangkünstlerin aus Berlin mitbringt: Sie hatte keine Kunst im Gepäck, als sie nach Bonn kam, sie will Bonn akustisch erforschen, auf Spurensuche gehen.

Wer aber ein Bonner Roadmovie für die Ohren mit reichlich Lokalkolorit und rheinischen Klischees erwartet, wird überrascht sein. Die 1948 in Bremen geborene Musikerin nimmt den Hörer mit auf eine Entdeckungsreise der anderen Art, führt ihn in den Bereich, wo Naturlandschaft und Stadtlandschaft aufeinander treffen. Das ist ihr großes Thema, das Experimentierfeld der Klänge und akustischen Impressionen.

Wir treffen uns am Brassertufer hinter dem Alten Zoll. Ob es mir etwas ausmache, mit ihr am Rhein entlang in Richtung Posttower zu gehen, fragt sie. Dort, an der Anlegestelle von "Schmitz Personenschiffahrt" wird sie im Herbst ihre Hauptarbeit zum Stadtklangkünstler-Stipendium vorstellen. Der Spaziergang entwickelt sich zu einem Parcours über die Höhenflüge und Untiefen der Klangkunst im Allgemeinen und das Bonner Klangspektrum im Speziellen.

"Die Beueler Seite ist die schönere", legt sich Christina Kubisch fest, "da scheint die Sonne hin, alles ist gemächlicher und ruhiger, und die Menschen verhalten sich anders." Die Beueler Seite sei ursprünglicher, meint sie, die Bonner Seite betriebsamer. Von dort habe man den klassischen Blick der Rheinromantik - aufs Siebengebirge - aber nie eine akustische Situation, die diesem Blick entspreche. Man hört Autolärm, Fahrräder.

Wenn man hingegen auf der Beueler Seite steht, sieht man das weniger romantische Ufer mit der modernen Burg Posttower, hört aber Naturklänge wie das plätschernde Wasser am Beueler Ufer. "Der Blick ist also verquer", sagt Kubisch, genauso wie der Klang. Und in der Mitte, auf dem Rhein, der wie eine große Schiff-Autobahn ist, vermischen und verwischen sich die Eindrücke

"Dieser Fluss fasziniert mich", sagt sie. Viele Stunden war sie am Ufer mit dem Mikrofon unterwegs, hat Aufnahmen zu verschiedenen Tageszeiten gemacht. Der Rhein klingt immer anders: Bei Hochwasser, nachts, tagsüber, bei Schiffsverkehr; der Ausflugsdampfer brummt anders als der Lastkahn; Ruderboote wischen über die Wasseroberfläche; und wenn es still zu werden droht, gluckert's am Ufer und die Möven schreien.

Christina Kubisch liebt das Klang-Experiment - zum Beispiel die Arbeit mit Hydrofonen, hochempfindlichen Unterwassermikrofonen, die in den USA von der Armee entwickelt wurden. Sie hat sich zwei schicken lassen. "Es war ziemlich kompliziert, die durch den Zoll zu kriegen", sagt sie lachend, "die dachten an Spionage." In Zeiten der NSA-Abhörskandale keine abwegige Reaktion.

Doch nicht nur der Zoll hatte zunächst Bedenken. Auch der Kapitän der "Petersberg": Als Kubisch am Tag vor dem Interview auf dem Ausflugsschiff Richtung Mosel unterwegs war und am Bug ihr Unterwassermikrofon einsetzen wollte, wurde der Skipper nervös und dann böse. Er hatte wohl Angst um seine Schiffschrauben. Christina Kubisch erzählte ihm von der Klangkunst und ihrem Stipendium.

Sie hat ihre Unterwasseraufnahmen bekommen. Die werden wie alles andere Akustikmaterial, das Kubisch von ihren Forschungs-Trips mitbringt, in ein großen Archiv einfließen, aus dem sich ihre Klangkunstinstallationen speisen. Sie ist unterwegs wie ein Maler, der seine Eindrücke im Skizzenbuch festhält und im Atelier dann ausführt, wie ein Botaniker, der Gräser und Blumen mit in sein Labor nimmt, um sie dort zu klassifizieren. Kubisch führt ein Klangtagebuch.

Für sie ist die Unterwasserklangwelt eine ganz neue Erfahrung: "Es klingt alles viel stärker und lauter", sagt sie, "man hört die Schiffsgeräusche viel lauter als über Wasser." - "Es ist wie ein Heavy Metal Konzert, unglaublich, sehr, sehr spannend." Man höre sehr weit, höre die Schiffe schon sehr früh, tiefes Grollen "und Wassergeräusche ganz am Rand".

In Bonn hat die in Berlin lebende Bremerin erste Kontakte geknüpft. Ihre Auftaktveranstaltungen im Bonner Kunstverein waren gut besucht, "es gab interessante Gespräche", sagt Kubisch, und die Eröffnung ihrer kleinen Ausstellung in St. Remigius war ein Erfolg. Man merke zwar, dass Bonn keine Klangkunst-Stadt sei, "aber, hier baut sich was auf". Köln habe eine große Klangkunstszene mit vielen Leuten, die sich auch für das interessieren, "was ich hier mache".

Kubisch freut sich auf die beiden Workshops in St. Helena mit der Architekturklasse der Alanus Hochschule, die sie bei zwei Seminartagen kennen gelernt hat. Die Studenten gingen ganz unbefangen an die Sache heran, meint sie, "sie sind wirklich Anfänger, aber sehr inspiriert". Kubisch arbeitet bei dem Workshop mit dem Bonner Videokünstler Jan Verbeek zusammen.

Die Arbeit mit Studenten ist für Christina Kubisch wie eine Reise in die Vergangenheit: Gerade ist sie als Professorin an der Hochschule der Bildenden Künste Saar pensioniert worden, fast 20 Jahre hat sie dort "Audiovisuelle Kunst" gelehrt. Das beantwortet zum Teil die Frage, wie Klangkünstler, die ihre Arbeiten gewöhnlich nicht auf dem Kunstmarkt anbieten können, finanziell über die Runden kommen. Kubisch klagt nicht: "Uns geht es besser als den Malern, die gratis ihre Kunst in Ausstellungen hängen - wir Klangkünstler bekommen für unsere Beiträge zum Beispiel auf Festivals ein Honorar."

Und der Job als Professor ist auch begehrt. Kleines Detail am Rande: Kubischs Nachfolger in Saarbrücken ist ihr Vorgänger in Bonn: Standklangkünstler 2012 Andreas Oldörp. Auf der Höhe von Behnischs Bundestags-Bau und dem Wasserwerk sind wir am Ziel: "Das ist mein Ponton", sagt sie zu der Anlegestelle, die "Personenschiffahrt Schmitz" ihr für die Klanginstallation zur Verfügung stellen wird.

Vor etwa einem Monat hatte sich die Idee für ihre Bonner Abschlussarbeit in Bonn verdichtet. Sie diskutierte ihre Pläne mit dem Kurator Carsten Seiffarth und dem Bonner Stadtbaurat Werner Wingenfeld, verwarf die frühe Idee einer "Klangbrücke über den Rhein" als zu störend, zu laut und aufwendig. "Das wäre eine große Lärmbelästigung", sagt sie, "Klangkunst soll aber nicht dazu da sein, zu verstören oder zu belästigen; ich liebe die Stille, wenn ich dann einen Klang dazu setze, muss er eine hohe Präsenz haben, darf aber nicht stören."

So hat man sich auch ihre Arbeit für Bonn vorzustellen. Auf dem Ponton und auf dem gegenüberliegenden Ufer werden Lautsprecher platziert: "Der Klang wird nicht immer da sein, er kommt über den Rhein und ist dann wieder weg", erzählt sie, "ein Teil wird live übertragen, das sind die Unterwasserklänge, ein anderer Teil wird aus romantisch verfremdeten Klängen bestehen, so wie man sich Romantik vorstellt", sagt sie. Diese Klänge sollen über den Rhein rüber und zurück schweben. Man wird auf der Schäl Sick andere Klänge hören als am Bonner Ufer, sagt sie über ihre "Komposition".

Die "romantischen Klänge" bestehen aus Tonmaterial, das Kubisch vor Ort aufgenommen hat und aus dem Archiv. "Was für Klänge könnten die Menschen vor 150 Jahren hier gehört haben?" Diese Frage stellte sich Christina Kubisch nach dem Besuch des Siebengebirgsmuseums in Königswinter, wo sie Bilder der Sammlung Rheinromantik sah. Die Literatur berichtet von Gesang, von Rheinnixen, aber auf den Bildern sieht man Dampfschiffe, riesige Flöße, Touristen. "Was die Menschen damals hörten, war eigentlich auch schon ihr eigener technischer Lärm."

In zwei Jahrhunderten nichts Neues am Rhein. Oder doch? Am 20. Oktober stellt Kubisch ihre Installation vor.

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