Neuer Roman von Ian McEwan Ein Roboter als Romanheld

Bonn · Ian McEwans neuer Roman „Maschinen wie ich“ stellt die Frage, ob Künstliche Intelligenz ein Segen oder ein Fluch für die Menschheit ist. Ein brillant konstruiertes Experiment.

 Ethische Grauzonen: Der britische Schriftsteller Ian McEwan. FOTO: DPA

Ethische Grauzonen: Der britische Schriftsteller Ian McEwan. FOTO: DPA

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Hellblaue Augen, dunkles Haar, stramme Muskeln: Adam sieht „wie einer dieser harten, stillen Typen am Tresen einer Bar aus, denen man besser nicht in die Quere kommt“. Doch der Londoner Lebenskünstler Charlie (32) hat sich Adam bewusst ins Haus geholt: einen von zwölf Androiden – gleichzeitig sind 13 Eves auf dem Markt –, die je nach Gusto ihrer Besitzer „intellektuelle Sparringspartner“ oder Haushaltshelfer sein können. Gemeinsam mit Nachbarin Miranda programmiert er das „ultimative Spielzeug“, das dank Künstlicher Intelligenz bald den eingegebenen Kurs verlässt. „Maschinen wie ich“ nennt Ian McEwan (70) ironisch seinen Roman, in dem die Krone der Schöpfung ihrem unheimlichen Duplikat begegnet.

Suggestiv beschwört der britische Autor die zeitlupenhafte Menschwerdung des Apparats. Der kommt dank Hautwärme, Herzschlag und männlicher Komplettausstattung sogleich Charlies intimer Liaison mit Miranda in die Quere. Der Android als besserer Liebhaber.

Danach hagelt es Fortschritte in Lichtgeschwindigkeit: Adam spekuliert erfolgreich an den Rohstoffbörsen, entwickelt Gefühle wie Liebe und Eifersucht, packt rasch mal den ganzen Shakespeare auf seine Festplatte und schreibt selbst Haikus. Gleichwohl zeigt McEwan („Abbitte“) seinem Geschöpf, wo auf literarischem Gebiet der Hammer hängt. Denn hier geht es jenseits von Science-Fiction-Klischees zurück in die Zukunft: Die künstlichen Menschen kommen schon 1982 ins Spiel, und der Schriftsteller schraubt nicht nur an deren Modulen, sondern auch an der englischen Geschichte herum. So verliert Margaret Thatcher hier den Falkland-Krieg gegen Argentinien und ihr Regierungsamt an Tony Benn, den bald eine Bombe zerfetzt. Worauf das Land kopflos dem (von McEwan radikal abgelehnten) Brexit entgegentaumelt.

Dass man gleichwohl technisch auf der Überholspur rast, ist „Enigma“-Entschlüssler Alan Turing zu verdanken. Eigentlich starb er 1954, wird aber in der vom Autor bewilligten „Nachspielzeit“ von fast 30 Jahren zum Turbotüftler der Künstlichen Intelligenz.

Man spürt beinahe permanent, wie viel Spaß diese dichterische Neuerfindung der Welt gemacht haben muss. Und als ob Adams erotische Konkurrenz nicht Problem genug wäre, werden Miranda und Charlie auch noch in eine heikle Adoptionsgeschichte und ein dunkles Vergewaltigungs- und Rachedrama verwickelt. Ein bisschen zu viel auf einmal? Das würde stimmen, wenn McEwan auch nur einen jener Bälle fallen ließe, mit denen er traumhaft sicher jongliert. Selbst die anfängliche Indifferenz seines Ich-Erzählers mutiert zum Trumpf, denn Charlies Charakter wird erst durch all die neuen Herausforderungen glaubhaft modelliert. Zwar besitzt Adam im Nacken einen Abschaltknopf, dessen Betätigung er indes unter Androhung von Gewalt verbietet. Die Machtprobe beginnt, verläuft aber anders als erwartet.

Triumph des Humanismus?

Denn während sich die Menschen irgendwie durch alle ethischen Grauzonen manövrieren, kennt Adam keine mildernden Umstände, sondern nur richtig oder falsch.

Der Roboter als moralischer Scharfrichter. Und wenn ihn angesichts der „Selbstmord“-Welle unter seinesgleichen eine Art Melancholie befällt, ist auch klar: Die Roboter mögen theoretisch die besseren Wesen sein, aber unser tägliches Kuddelmuddel von Lügen und Skrupeln, Wünschen und Sorgen überfordert ihr kristallklares Hirn.

Das größte Faszinosum dieses Buchs liegt letztlich im Verzicht auf dystopische Eindeutigkeit. Die Frage, ob die KI-Geschöpfe „der Triumph des Humanismus – oder sein Todesengel“ sind, muss nach diesem brillant konstruierten Experiment jeder selbst beantworten.

Ian McEwan: Maschinen wie ich. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes, 405 S., 24 Euro.

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