Synagogenprojekt in Stommeln Ein Paar in Bewegung

Wer bislang von der außerordentlichen Qualität von Tony Craggs Skulpturen noch nicht recht überzeugt war, kann und sollte dieses Urteil jetzt in Stommeln unbedingt überprüfen. Dort, in der Nähe von Köln, wird im sogenannten Synagogenprojekt jedes Jahr ein Künstler eingeladen, sich mit dem Ort, wie auch immer, auseinanderzusetzen. Das geht seit über 20 Jahren so und hier waren Gregor Schneider, Rosemarie Trockel, Maurizio Cattelan und Richard Serra bereits am Werk.

 Tony Cragg mit seinem Skulpturen-Paar in Stommeln.

Tony Cragg mit seinem Skulpturen-Paar in Stommeln.

Foto: Gudrun V. Schoenebeck

Die Synagoge in zweiter Reihe im Zentrum von Stommeln gehört zu den wenigen Synagogen, die während der Pogrome von 1938 nicht zerstört wurden und bis heute erhalten geblieben sind. Nun ist also Tony Cragg, 1949 in Liverpool geboren, seit Jahrzehnten in Wuppertal ansässig und bis 2013 Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, zu Gast in der kleinen Synagoge, deren hinterer Teil durch die Frauenempore noch eine zweite räumliche Ebene hat.

Von hier oben aus kann man sich den beiden Skulpturen von Cragg visuell nähern, oder das "Pair" vom Erdgeschoss aus auch räumlich umkreisen. Riesig wirkt das 4,10 und 3,30 Meter hohe Paar im Verhältnis zur Architektur und stößt beinahe bis an dessen Decke.

Die Zusammensetzung der Skulpturen aus gestapelten Holzscheiben lässt sich erahnen, aber hier ist alles in typischer Cragg-Manier in Bewegung, man möchte meinen sogar ins Rutschen geraten. Organisch wirkende Formen mit schrägen oder aufstrebenden Partien und wechseln ihr Profil so schnell wie der Betrachter seinen Standpunkt ändert. Stark, aber nicht unangenehm dominant behauptet sich das Paar im Raum und wirkt vermutlich auch deshalb besonders lebendig, weil die nächsten rechten Winkel der Wände und Decke nicht weit entfernt sind. "Pair" ist einer der jüngsten Figuren aus Craggs Werkgruppe "Rational Beings", in denen bisweilen schemenhafte Gesichtszüge auftauchen können und die der Bildhauer aus verschiedenen Materialien hergestellt hat.

Das Paar in der Stommelner Synagoge ist farbig gefasst in einem Gelbton, der ins Orange oder Ocker übergeht. Die Farbe sei eher assoziativ entstanden, erklärt Tony Cragg dazu. "Von den wenigen Malen, in denen ich in einer Synagoge war, habe ich diese Farbe als Erinnerung mitgenommen." In Korrespondenz dazu steht auf der anderen Seite des Raumes unter der Empore auf einem Sockel eine weitere Skulptur von Cragg. "Line of thought" ist kleiner, weiß gefasst und wer will, kann sie als Bezugspunkt oder auch als Souffleuse für die Hauptdarsteller auf der Bühne begreifen.

Wie sich überhaupt die Assoziationen ganz von selbst einstellen, je länger man den schlichten Raum mit dem großartigen Skulpturenpaar auf sich wirken lässt. Absichten findet man hier keine, statt dessen eine ebenso selbstverständliche wie verblüffende Präsenz. Ganz so, als habe das Vertraute sich neu formiert, damit wir anders sehen können.

Synagoge Stommeln, Hauptstraße 85 a, 50259 Pulheim, bis 27. September. Fr 15-18, Sa, So 13-18 Uhr und nach Vereinbarung.

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