Ein Mann für alle Genres

KÖLN · Der in Köln lebende Maler Gerhard Richter gilt schon zu Lebzeiten als "Picasso des 21. Jahrhunderts".

Ein Mann für alle Genres
Foto: dpa

Manches Malergenie wurde erst nach seinem Tod entdeckt, weil die Zeitgenossen seine Bedeutung noch nicht zu erkennen vermochten. Gerhard Richter fällt nicht in diese Kategorie. Ihm ist es vergönnt, schon zu Lebzeiten als "Picasso des 21. Jahrhunderts" ("The Guardian") oder "Europas größter moderner Maler" ("The New York Times") gerühmt zu werden.

Auf Ranglisten der wichtigsten Künstler belegt er mit großer Regelmäßigkeit Platz eins. Seine Gemälde erzielen Rekordpreise. Wenn Richter am 9. Februar 80 Jahre alt wird, dann feiert die Welt den Geburtstag eines Mannes, von dem jetzt schon feststeht, dass er in die Kunstgeschichte eingehen wird. Die einhellige Begeisterung der Kunstwelt steht dabei in einem merkwürdigen Gegensatz zu der Ratlosigkeit, mit der das große Publikum seine Bilder betrachtet. Die "Kerze" zum Beispiel, die im Oktober zwölf Millionen Euro erzielte, wirkt geradezu banal. Was soll daran nun so toll sein?

Richter hat Malerei neue Bedeutung gegeben

"Zu der Zeit, als Richter 1961 aus der DDR in den Westen floh, sprachen viele vom Ende der Malerei", erläutert die Kunstbuchautorin Angela Wenzel aus Düsseldorf. Wenn es um möglichst realistische Abbildungen ging, war die Malerei der Fotografie hoffnungslos unterlegen. Und auch das, was Impressionisten und Expressionisten gemacht hatten - die Welt ganz subjektiv durch die eigene Brille zu sehen oder das eigene Gefühlsleben auf der Leinwand auszubreiten - schien ausgereizt. Richter gilt heute als derjenige, der der Malerei wieder eine neue Bedeutung gegeben hat.

Er belebte alle altbekannten Genres neu: Landschaften, Seestücke, Porträts, Aktbilder, Stillleben - wie die "Kerze" - oder auch Historienbilder: Beispiele dafür sind sein RAF-Zyklus oder sein Gemälde zum 11. September. "Seine Wolkenbilder erinnern sogar an religiöse Malerei, da fehlen eigentlich nur noch die Engelchen", meint Wenzel. "Richter hat das alles wieder aufgegriffen, aber eben ganz anders als vorher."

Viele seiner Gemälde sind verwischt und erscheinen dadurch eigenartig diffus. Damit wendet er sich gegen die scheinbare Objektivität der Fotografie. Fotos können ein trügerisches Gefühl von Sicherheit vermitteln: So ist die Wirklichkeit und nicht anders. Richter meint: "Wir sehen doch nur, wie es unser Linsen-Apparat Auge zufällig vermittelt." Ein bekannter Ausspruch von ihm lautet: "Alles sehen, nichts begreifen."

Seine Malerei ermutigt genauer hinzusehen

Die Menschen des 21. Jahrhunderts wissen so viel wie nie zuvor, aber nur wenige würden wohl für sich in Anspruch nehmen, die Welt durchschauen zu können. Richter kann es auch nicht. Wenn man ihn fragt, was er dem Betrachter mit seiner Kunst sagen will, pflegt er zu antworten: "Gar nichts." Und doch: Seine Malerei ermutigt in jedem Fall dazu, genauer hinzusehen.

Ein Vorbild für viele jüngere Künstler wurde Richter dadurch, dass er sowohl gegenständlich als auch abstrakt malt. In den 60er Jahren war das undenkbar - abstrakte und realistische Maler standen sich geradezu feindselig gegenüber. Heute gilt auch dank Richter: Alles geht. "Es gibt für mich keinen Unterschied zwischen einer Landschaft und einem abstrakten Bild", sagte er einmal in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung". "Bei einem gegenständlichen Bild male ich den Anblick einer vorhandenen Sache, bei einem abstrakten formt sich allmählich das Bild einer Landschaft, die ich nicht kenne. Aber die Mittel sind die gleichen."

Gerade vor einem abstrakten Bild von Richter denkt so mancher im Stillen: "Das könnte ich auch!" Manches sieht allerdings einfacher aus, als es ist. Und Richter macht es sich mit Sicherheit nicht leicht. Jeden Tag steht er Stunden in seinem Atelier, einem bunkerähnlichen Riegelbau im Kölner Villenviertel Hahnwald. An jedem Werk tüftelt er lange herum. So besteht sein Fenster für den Kölner Dom aus 72 Farbtönen, deren Anordnung von einem Zufallsgenerator zusammengestellt worden ist. Im Grunde eine einfache Idee. Doch Richter beließ es nicht dabei. Nach langem Probieren entschied er sich dafür, nur die eine Hälfte des Fensters vom Rechner auszulosen, die andere aber zu spiegeln. Dadurch wurde der Gesamteindruck viel ruhiger.

Das Ergebnis überzeugt auch Skeptiker. An einem sonnigen Tag wirft das Fenster ein wunderbares Farbenspiel auf die Mauern und Säulen der Kathedrale. Dann steht man da und denkt: keine weiteren Fragen.

Werke zu Höchstpreisen

Werke von Gerhard Richter erzielen Höchstpreise. Eine Auswahl:

  • Zwei Bilder aus der "Kerzen"-Serie von 1982/83. Das eine wurde 2011 in London für mehr als zwölf Millionen Euro versteigert, das andere 2008 in London für 10,5 Millionen Euro.
  • "Abstraktes Bild (710)" von 1989: Es ging 2008 in New York für zwölf Millionen Euro weg.
  • Das Werk "Zwei Liebespaare" von 1966 erzielte 2008 in London knapp zehn Millionen Euro.
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